Aprilwetter
behielt er die rote Strat noch als Ersatzgitarre, falls ihm auf der Bühne eine Saite reißen würde, aber das passierte nie. Er spielte inzwischen mit Kunststoffpicks, zupfte vorsichtig, zog nie die Töne und wechselte überdies die Saiten alle drei bis vier Abende, sodass er sich nach einigen Monaten entschloss, das unnütze Instrument zu verkaufen. Natürlich mit Verlust, denn Gitarren müssen alt sein, um wertvoll zu werden.
Der Musikhändler in El Paso zählte ihm sechshundert Dollar auf die Theke und bot ihm einen Job an. Die Band, in der er selbst jahrelang gespielt hatte, bis es ihm reichte und er den Laden übernahm, suchte einen Gitarristen für regelmäßige Package-Tours, die sie für ein kleines, aber reiches Countrylabel machten und an denen sie jeden Abend sechs verschiedene Sänger begleiteten. Vierhundert Dollar pro Gig. Benno sagte zu und zog nach Fort Worth – es war zum Glück in einer Tourpause, und die alte Band hatte Zeit, sich einen Ersatzmann zu suchen.
Nach vier Tagen Probe im Studio des Labels fuhren sie los und spielten en suite sieben Wochen, reisten in einem geräumigen Bus zusammen mit den Sängern, mussten erst zum Soundcheck aus ihrem Tournee-Tran erwachen, denn die übrige Arbeit, das Aufbauen, Abbauen, Einleuchten und Stimmen der Instrumente, wurde ihnen von zwei Roadies und immer wechselnden örtlichen Stagehands abgenommen. Es war der reine Luxus, zumal sich Benno mit den anderen Musikern sofort verstand, keiner spielte den Ansager und keiner die Diva. Leider taten das manche der Sänger, aber das war leicht zu verkraften, solange die Band sich vertrug.
Viel schwerer zu verkraften war die Musik, die sie spielen mussten. Nur selten ging einer der Acts über das immer gleiche Genregewimmer hinaus und zeigte Charakter oder Eigensinn, fast alles, was sie zu spielen hatten, waren platte, geklonte Radioschlager, allenfalls zur Beschallung von Kaufhäusern oder Freizeitparks geeignet, aber nicht dafür, Momente der Anwesenheit oder gar Entrückung zu erzeugen. Sentimentaler und auftrumpfender Mist. Geldmachermusik. Benno schämte sich.
Immer wenn der letzte Song gespielt war, sich die Sänger gemeinsam verbeugten, die Band ihre Instrumente zur Seite stellte und sich ebenfalls verbeugte, sagte Nick, der Pedal-Steel-Player, laut und deutlich, aber im Applaus nur für Benno und Stephen, den Geiger, die direkt neben ihm standen, hörbar: »Ich bin zu alt für den Scheiß.«
Benno hielt über ein Jahr durch, aber jeden Abend nach dem Auftritt, wenn er zur Horizonterweichung schritt, fühlte er sich wie ein Verbrecher, ein Kollaborateur des Bösen und schwor sich, sobald es ginge, auszusteigen. Inzwischen brauchte er aber das Geld, auf seinem Konto gingen nur noch spärlich Tantiemen ein, und er versuchte, sich zu trösten oder zu beschwichtigen, indem er dachte, Gebrauchsmusik ist keine Schande, aber es war nicht mal Gebrauchsmusik, wobei er da mitmachte, es war ekelhaft. Es war eine Schande.
Er war nun schon über fünf Jahre in den Staaten und begriff an irgendeinem Abend in irgendeiner Stadt, irgendwann zwischen dem fünften und siebten Drink, dass er nur hierblieb, um nicht dort zu sein. Er lebte ex negativo. Es ging nicht darum, etwas zu lernen, andere Musik zu machen, eine andere Welt zu bereisen, es ging nur ums Exil, nur darum, Christine und Daniel auf einem anderen Kontinent zu wissen. Wen er wegen wem verlassen hatte, wusste er nicht. Ob Daniel wegen Christine oder Christine wegen Daniel – das würde er auch nie herausfinden. Ebenso wenig wie er herausfand, wer ihm wen weggenommen hatte. Und wen von beiden er mehr vermisste.
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Schon auf dem Heimweg vom Strand hatte sich die Wärme der Nacht in Schwüle verwandelt, sie gingen zurück zum Hotel und sangen Karle trag du da Schirm , ein schwäbisches Nonsens-Wanderlied für simple Gemüter, das Christine angestimmt hatte, obwohl ihr der Dialekt nicht gerade fehlerfrei über die Lippen ging.
Als sie vor einem Lokal drei Passanten begegneten, verstummten Daniel und Benno, aber Christine ließ sich nicht beirren und sang trotzig weiter. Um sie nicht zu blamieren, sie nicht wie eine Betrunkene wirken zu lassen, stimmte Benno wieder mit ein und sang die Zeile »Mi frierts an’d Füß« mit, aber als er die beiden Gitarristen vom Nachmittag erkannte, unterband er das Gesinge mit einem Ellbogenstoß in Christines Seite. »Aua«, sagte sie, und »Hi«, sagten die beiden Dänen, winkten und bogen um die nächste Ecke.
»Habt ihr
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