Aprilwetter
allein sein. Oder bereut sie es doch? Auch wenn es gestern Nacht nicht so aussah, der Katzenjammer kann ja inzwischen über sie gekommen sein. Vielleicht will sie ihn nicht sehen. Er klingelt nicht und ruft nicht an.
Bevor er sich hinlegt, füllt er seine kleine Waschmaschine und lässt sie laufen. Dann kann er nachher, bevor er wieder runtergeht, noch die Wäsche aufhängen. Er stellt sich den Wecker auf vier.
—
Aber es ist nicht der Wecker, es ist die Türglocke, die sich in sein Bewusstsein drängt. Auf dem Weg zur Tür hat er das Gefühl, durch den Fußboden zu waten, so verschlafen ist er noch, und vermutlich reibt er sich die Augen wie ein kleines Kind im Film, als er geöffnet hat und Christine da stehen sieht, zusammen mit einer Frau, die ihm vage bekannt vorkommt.
»Au, hast du geschlafen? Das tut mir leid«, sagt Christine.
»Alles okay, kommt rein«, sagt er.
»Das ist Meike, die Tochter meines Schwagers.« Christine deutet auf die Frau, schiebt sie gleichzeitig vor sich her in den Flur, und jetzt wird Benno wieder klar, woher er sie kennt. Die Mausaugige aus Nashville, mit der er Musik machen soll. Sie sieht anders aus als damals, ganz in Schwarz, mit einem ärmellosen Rollkragen-T-Shirt, langen Haaren und Pferdeschwanz.
»Hallo, Meike«, sagt er, »wollt ihr reinkommen, oder sollen wir runtergehen und einen Kaffee trinken?«
»Kaffee«, sagt Christine.
Auf dem Weg nach unten gehen beide vor ihm her, sodass er nicht in Christines Gesicht lesen kann, wie sie heute zu ihm steht. Benno fühlt sich unsicher. Darf er sie an gestern Nacht erinnern? Soll er so tun, als wäre nichts gewesen? Ist Meike eine potenzielle Verräterin?
»Ist sie nicht deine Nichte«, fragt er, »wenn sie die Tochter deines Schwagers ist?«
Christine lacht: »Das wäre sie, wenn sie die Tochter meines Schwagers mit meiner Schwester wäre, aber er hat sie in die Ehe mitgebracht.«
»Das ist ein Überfall«, sagt Meike, als er einen Espresso für sich und zwei Cappuccini für die beiden gemacht hat und wieder hinter der Theke hervorkommt, um zu ihrem Tisch zu gehen, »hoffentlich bist du nicht böse. Aber Daniel fand, ich solle dich gleich überrumpeln, bevor du es dir wieder anders überlegen kannst. Er will unbedingt, dass du mitmachst. Und ich will das auch.«
»Ist in Ordnung«, sagt Benno, »es gibt viel zu besprechen. Du bist willkommen.«
Christine prostet ihm wieder mit ihrer Kaffeetasse zu. Ist das ein Tick von ihr? Wird sie das demnächst auch mit einem Marmeladenbrot machen?
»Ich bin heut Nacht um drei Uhr losgefahren. Die Band ist schon im Studio«, sagt Meike, »falls du so schnell hier wegkommst, könnten wir heute noch hin.«
»Die Band ist schon da?«
»Meine«, sagt Meike, und jetzt wirkt sie verlegen. »Ich wollte unbedingt, dass du meine Band hörst, bevor du dich entscheidest, die Musiker aus den Staaten einzufliegen, und Daniel sagte, ich soll sie dir einfach vorführen. Sie haben sofort Urlaub genommen und sind losgerauscht. Du hast das letzte Wort.«
Benno kann seinen Ärger nicht verbergen. Das ist schon wieder so eine typische Daniel-Aktion. Einfach über Bennos Kopf hinweg Tatsachen schaffen, die er dann schon akzeptieren wird. Das erinnert an früher. Ungut.
Christine, die sieht, was in ihm vorgeht, legt eine Hand auf seinen Arm, und Meike schaut ihn ängstlich an. Er reißt sich zusammen und fragt: »Sonst noch Tricks? Irgendwas, worauf ich gefasst sein sollte?«
»Nein«, sagt Meike, aber es klingt, als zweifle sie selbst daran. Vielleicht traut sie Daniel noch den einen oder anderen Einfall zu. »Du kannst sie ablehnen, wenn sie dir nicht gut genug sind, du bist der Chef. Ich glaube nur, du wirst sie mögen. Sie sind wirklich gut. Ich will eigentlich auch, dass wir als Band firmieren, ich streite noch mit Daniel darum. Er glaubt, eine Sängerin lässt sich leichter verkaufen.«
»Da mag er recht haben«, sagt Benno, »aber das muss uns nicht kümmern. Uns kümmert erst mal nur die Musik.«
»Gut so«, sagt Christine und lächelt. »Wenn ihr Hilfe braucht, falls Daniel sich stur stellt, ich mach mit.«
»Gut so«, sagt Benno und versucht, seinen Ärger zu schlucken.
Er lässt die beiden am Tisch zurück und geht Valerio zur Hand, weil ein paar hereingeschneite Touristen versorgt werden müssen.
»Könntest du den Laden ein paar Tage lang mit Souad allein schmeißen?«
Valerio schaut problembewusst drein, so als müsse er sehr genau überlegen, ob das irgendwie zu machen sei, aber
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