Aprilwetter
den Programmen mancher Bustouren als Plan B oder C auf, wenn die Grand Ole Opry ausverkauft war, weil es immer wieder vorkam, dass ein Star, der gerade in der Stadt aufnahm und sich hier nach dem harten Studiotag entspannte, spontan zur Band stieß und für Beifallsstürme sorgte. Danach mussten sie immer mindestens einen Set instrumental spielen, denn niemand wagte sich mehr auf die Bühne.
Als Nick eines Abends mitten in Devils Dream , einer instrumentalen Bluegrass-Nummer, breit grinsend zur Tür sah, sich verbeugte und eine schrille Kadenz spielte, die wie eine Fanfare klang und überhaupt nicht ins Stück passte, folgte Benno seinem Blick und sah einen dunkelhaarigen, schnurrbärtigen Mann mit Gitarrenkoffer, der eben eingetreten war und sich an die Wand lehnte. Dieser Mann lächelte zurück, winkte mit einer kleinen Gebärde der linken Hand und schien sich mit Nick in einem stummen Code, der aus Kopfnicken, Kopfneigen und Schulterzucken bestand, über irgendetwas einig zu werden. Direkt nach dem Stück sagte Nick: »Please welcome on stage my old friend John, who’s here with us tonight.«
Der Mann hatte seine Gitarre ausgepackt, eine verschrammte Gibson, und kam zur Bühne, während das Publikum höflich klatschte und Nick ein zweites Gesangsmikrofon für die Gitarre justierte, dann vor das erste einen Barhocker stellte, den der Mann bestieg, während er die Band mit einem Kopfnicken und Lächeln begrüßte, Nick die Hand kurz auf die Schulter legte, seine Gitarre durchstimmte und einen Schaukelrhythmus in D-Dur zu spielen begann, in den die Band nach zwei Takten wie ein Mann einstieg.
Der Song schien allen außer Benno bekannt zu sein, er handelte von einer Linda, die zum Mars geflogen sei, und war die countrytypische Drei-Akkord-Komposition, bei der man einfach mitspielt, ohne etwas falsch machen zu können. Vom ersten Ton an war klar, dass dieser Mann führte und die Band sich ihm überließ. Das war selten, es geschah fast nur, wenn erfahrene Sänger auftraten, aber niemand im Saal schien diesen John zu kennen.
Als das Lied zu Ende war, klatschte das Publikum zufrieden, aber nicht euphorisch, der Sänger ging in ein zart gezupftes G-Dur über, Tyler trat nur die Bassdrum und Dave spielte den notorischen Wechselbass – auch diesen Song schienen sie zu kennen, denn Nick und Stephen spielten einen gemeinsamen Lick zwischen die Zeilen. Sie mussten früher mit diesem Mann zusammen musiziert haben.
Nach einem dritten Stück ging der Mann von der Bühne, sein Applaus war freundlich, aber als er seine Gitarre einpackte und Nick rief: »Ladies and Gentlemen – John Prine«, brach Jubel und Lärm aus, den der Mann gelassen an sich vorbeirauschen ließ, während er zur Bar ging und sich den Drink nahm, der dort schon für ihn bereitstand.
Benno ging in dieser Nacht zu Fuß nach Hause, und er hörte einen der Songs, den ersten, über Linda, die zum Mars flog, im Kopf – dabei wurde er sich wieder dessen bewusst, was diese simple Musik so unwiderstehlich machen konnte: Charakter. Sobald man die dummen Hüte, albernen Schnürsenkelkrawatten und bestickten Hemden abzog, sich nicht mehr an der gleichförmigen Instrumentierung und gelegentlich hysterischen Emphase störte, dann konnte dieses Genre lakonisch, kraftvoll und individualistisch sein, trotz des engen Rahmens, in dem man sich bewegte. Und selbst ein Nonsenstext wie dieser konnte einem guten Song nicht schaden. Vielleicht war das auch in anderen Musiksparten so, aber von Country hätte Benno es nicht erwartet, bevor er mittendrin gelandet war.
Der große Schluck fiel aus, Benno nippte nur ein bisschen an seinem Glas, während er Janets CD-Regal nach Alben von John Prine durchsuchte, und als er eines fand, hörte er es mit Kopfhörern und geschlossenen Augen durch, ohne dabei müde zu werden.
—
Daniel spielt Gitarre. Im Schneidersitz, direkt vor ihnen. Er ist nackt, sitzt am Strand, nur wenige Meter von Benno und Christine entfernt, und zupft etwas, das wie Willy O’Winsbury von Pentangle klingt. Sein Gesicht ist tränenüberströmt, hat aber einen stoischen, leeren Ausdruck, er wendet den Blick nicht ab, schaut stur auf die beiden nackten Körper, die im flachen Wasser aneinandergeschmiegt liegen und sich mit ruhigen Bewegungen der Liebe überlassen.
Es riecht falsch. Nicht fischig oder teerig, wie es zum Strand passen würde, sondern metallisch und faulig. Daniel tut ihm leid, aber Benno kann nichts an der Situation ändern. Die freundliche,
Weitere Kostenlose Bücher