Aqualove
wollte keinen derart deprimierenden Einstieg in den Tag mehr miterleben müssen.
Cremefarbene, schwere Vorhänge, die von goldenen Seilen mit albernen Troddeln zusammengehalten wurden, säumten die riesigen Fensterfronten. Die Tapeten waren altrosa mit einem dezenten Lilienmuster, der Fußboden hellbraun oder abgewetztes Gold, je nachdem ob man mit dem oder gegen das Licht auf den langen Flor sah. Ich saß auf einem Sessel, dessen Brokatstoff mich noch in meinen schlechten Träumen verfolgen würde. Den Kopf konnte ich nicht anlehnen, weil die vergoldeten Holzornamente am Stuhlrahmen zu unbequem waren.
Das Four Seasons in Chicago hatte den Ruf, die dekadentesten Suiten zu haben, und ausgerechnet hier, in dieser lebendig gewordenen Absolutismuskulisse, musste ich mein nächstes Interview machen. Ludwig XIV. hätte sich hier bestimmt wohlgefühlt – genauso wie Alexandra Styles, die sich mit zwanzig Minuten Verspätung endlich herabgelassen hatte, mit mir zu sprechen. Als sie in einem seidenen Nichts mit Leopardendruck in den Raum rauschte, meinte ich zu spüren, dass die Temperatur um mindestens zwei Grad gefallen war. Ohne mir die Hand zu schütteln, glitt sie an mir vorüber und ließ sich wie nach einem 10-Kilometer-Lauf mit einem Seufzer auf den Zweisitzer fallen, der meinem Sessel gegenüberstand. Eine wahre Wolke „Phänomen“ erreichte mich mit leichter Verspätung, und ich bemühte mich, von da an durch den Mund zu atmen, um meinen Würgereiz zu unterdrücken, den dieses Parfum unweigerlich bei mir auslöste. Es waren alles in allem keine guten Voraussetzungen für ein entspanntes Gespräch.
„Mrs. Styles, wie schön, dass Sie doch noch kommen konnten. Mein Name ist Nia Petit – vom Chicago IN & OUT.“
„Willkommen“, antwortete sie mit einer weitläufigen Geste ihrer Hand, als gehörten der Sessel, der Teppich, der Kristalllüster und das ganze Hotel eigentlich ihr. O Mann, dachte ich und atmete weiter durch den Mund.
„Mrs. Styles, Ihre neue Serie ‚Home Mystery‘ ist in aller Munde. Sie spielen darin die unterprivilegierte, alleinerziehende Mutter Jane.“ Manchmal waren Fiktion und Realität einfach nicht unter einen Hut zu bringen. „Wie haben Sie sich auf die Rolle vorbereitet?“
„Ich habe natürlich das Skript mehrfach gelesen. Es ist eine so anrührende Geschichte.
Natürlich habe ich wochenlang versucht, in vergleichbar einfachen Verhältnissen wie Jane zu leben.“
Was?! Ich hatte Mühe, nicht laut herauszulachen. Wahrscheinlich hieß das in ihrem Sprachcode, dass sie einen Abend auf den Besuch eines mondänen Tanzclubs verzichtet und einen lauschigen Abend mit Champagner und Horsd’oeuvres vor dem Streamer zu Hause verbracht hatte.
„Irgendwie erinnern Sie mich an dieses arme Ding.“ Sie beugte sich zu mir. Unsere plötzliche Nähe ließ ihre durch einen schwarzen Strich ersetzten Augenbrauen wie Linien eines Kohlevorkommens im Steinbruch aussehen. Der Duft war überwältigend. Mit einem manikürten Fingernagel von der Länge einer gebogenen Nähnadel zeigte sie direkt auf meine Nase.
„Hey! Hallo.“
„Was? “
„Aufwachen!“
Oh, Mann. Ich blinzelte. Mein Kopf war nach vorn auf meine Brust gekippt, als hätte sein Übergewicht ihn ins Rollen gebracht. Jetzt spürte ich meine lädierte Nackenmuskulatur. Ich brauchte Sauerstoff.
„Es tut mir leid. Ich bin kurz eingenickt.“
„Harter Tag?“
„Kurze Nacht.“
Mein Gegenüber hatte die Gestalt gewechselt. Während gerade eine große Kaugummiblase auf ihrer Nase zerplatzte, stellte ich erleichtert fest, dass diese Alexandra Styles nichts mit der aus meinem gruseligen Tagtraum gemeinsam hatte. Ihre Jeans sah ähnlich mitgenommen wie meine aus: eng, verwaschen, ein bis zwei Löcher. Auf ihrem grauen T-Shirt stand „Leck mich!“, und an ihrem Handgelenk baumelten circa fünfundzwanzig bunte, zum Teil selbst gemachte Armbänder. An ihrer rechten Hand trug sie unzählige Ringe, darunter mindestens zwei mit Totenköpfen. Ihre Uhr, silbern an einem alten Lederarmband, trug sie mit dem Zifferblatt zum Innengelenk der Hand hin. Außerdem hatte sie eine spektakuläre schwarze Brille mit riesigen runden Gläsern auf, die auf wundersame Art und Weise von den immer neuen Kaugummiblasen verschont wurden.
„Was möchten Sie trinken? Cola, Wasser?“
„Cola, bitte.“
„Hilft bestimmt beim Wachwerden.“
Mit einem schnellen Blick versuchte ich mich nochmals zu orientieren. Als ich vor einer Stunde eingetroffen
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