Aquila
die Öffnung blies ihnen ein feiner, scharfer Nieselregen ins Gesicht. Kendrick schob sich mit seinem Paket durch die schmale Öffnung und kletterte die Leiter hinunter. Sie hörten ihn auf den Regen und auf seine schwere Last schimpfen, bis er nicht mehr zu sehen war.
Chandler robbte auf Händen und Knien zur Tür. Regen schlug ihm entgegen, so dass er sich die Hand über die Augen halten musste, um hinunterzusehen. Mit einem zischenden Geräusch blies sich das Paket zu einem unförmigen prallen Gummifloß auf, das größer war als Kendrick. Der kämpfte mit einer Lasche, die sich schließlich über die Verstrebung ziehen ließ. Immer noch vor sich hin fluchend, steckte er die ausziehbaren Ruder zusammen und schnallte sie mit Gurten fest an das Floß.
Langsam kam er wieder die Leiter herauf. Oben reichte ihm Chandler die Hand und zog ihn zurück an Bord.
»Immer dieses blöde Floß«, seufzte er, wobei er zufrieden über seine Anstrengung lächelte.
Der Mann ist in seinem Element, dachte Chandler, als er sich mit dem Piloten verglich. Der ließ sich auf einer Werkzeugkiste nieder und wischte mit einem ölverschmierten Lappen über sein Gesicht.
»Meine Herrschaften, Sie erfahren jetzt, wo wir uns befinden und wie es weitergeht. Wir sind soeben über die Cabot-Straße auf die nördliche Küste von Kap Breton zugeflogen. Rechts von uns, hinter dem oberen Ende vom Cabot Trail, finden Sie Pleasant Bay, links von uns Aspy Bay, in gerader Richtung vor uns das Nordkap. Ich habe Sie allerdings nicht direkt auf Kap Breton abgesetzt, sondern auf einer Insel. Kapiert? – Na schön.
Schade, dass es regnet, aber wenn Sie das Floß bestiegen haben, werden Sie sehen, dass Sie nur knapp vierzig Meter vom Ufer entfernt sind. Wir sind in einer kleinen Sandbucht, nur seitlich ist es felsig, aber das braucht Sie nicht zu kümmern, wenn Sie 272
sich an die Anweisungen halten. Steuern Sie einfach geradeaus an Land, benutzen Sie die Lampe …« Er zog eine große quadratische und leistungsfähige rote Taschenlampe unter seinem Sitz hervor, die er liebevoll tätschelte wie einen Schoßhund. »Das kleine Wunderding hier wird Sie sicher ans Ziel bringen. Wo es flach wird, haben Sie ein bisschen mit der Strömung zu kämpfen, aber Sie sind in ein paar Minuten durch.
Fallen Sie mir bloß nicht ins Wasser, sonst kommen Sie womöglich nicht mehr aufs Floß. In einer solchen Nacht im Meer, so kalt und dunkel«, schloss er, als habe er zitiert.
Den ersten Schluck Brandy aus der Plastikflasche, die er aus seiner Jackentasche hervorgezogen hatte, gestand er Polly zu.
Nachdem auch Chandler getrunken hatte, ließ Kendrick den Stoff durch die Kehle rinnen, als wäre es Wasser. »Weiter im Text: Sobald Sie das Ufer erreicht haben, müssen Sie so schnell wie möglich ins Haus, damit Sie sich keine Lungenentzündung holen. Das Haus steht oben auf den Klippen, aber hundert Meter weiter links zieht sich ein Weg durch Farnkraut und Felsen, der ist leicht zu finden. Wenn Sie oben sind, sehen Sie Stronghold: ein riesiges hässliches Gebäude auf den Klippen über dem Meer.
Das Haus ist leer.« Er nahm etwas aus der Jackentasche, das er Chandler in die Hand drückte. »Hier haben Sie den Schlüssel, stecken Sie ihn ein. Und guten Aufenthalt!«
»Stronghold«, wiederholte Polly.
»Feucht und neblig hier, und sehr abgeschieden. Nettes Fleckchen Erde, wenn man Seevögel mag und Stürme und gern allein ist.«
Auf allen vieren kroch Chandler rückwärts durch den Eingang, ertastete mit dem Fuß die erste Sprosse und stieg ängstlich und behutsam hinunter. Im Nu war alles nass: sein Gesicht, die Brille, das Haar. Krampfhaft hielt er die große Lampe und den Handlauf umklammert, ertastete sich Sprosse um Sprosse seinen Weg und vermied, in das wogende schwarze Wasser zu blicken.
Das Licht der Taschenlampe schnitt einen Kegel aus Gischt in 273
die stockdunkle Nacht, während das Wasser an die Pontons klatschte.
»Nicht stehen bleiben, Mann!«, rief Kendrick von oben.
»Leck mich am Arsch!«, schrie Chandler zurück. Aus Angst, seinen Halt auf den glitschigen Metallsprossen zu verlieren, wagte er nicht, nach oben zu sehen.
Unten angekommen, ließ er sich von der letzten Leitersprosse auf das gefährlich schaukelnde Rettungsfloß hinab. Kendrick hielt Polly am Arm, als sie umstieg. Chandler streckte sich, bis sie seine Hand fest zu fassen bekam. Dann war sie neben ihm und wischte sich den Regen aus dem Gesicht. Behände kam Kendrick mit der
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