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Aquila

Aquila

Titel: Aquila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gifford
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auf einem sanft ansteigenden Hügel das Haus. Ohne ein weiteres Wort trotteten sie tapfer über das nasse Gras, immer hinter dem unsteten Lichtstrahl her, als würden sie von ihm gezogen.
    Chandler wurde ab und zu schwarz vor Augen. Er sah dann nur noch schwache Punkte von Licht und Schatten, denen er mit mühsamen, glucksenden Schritten folgte, wobei seine Schuhe fast im Matsch stecken blieben. Polly lief forsch und ohne zu klagen drauflos – sie war ein Wunder. Er beobachtete, wie sie vor ihm marschierte, und versuchte, ihre Zielstrebigkeit und ihre Energie in sich aufzunehmen. Im Augenblick war sie die Stärkere. Es war bezeichnet für den Wandel in seiner Einstellung zu ihr, dass er sich weder schämte noch Ärger oder Frust darüber empfand. Er war sogar verdammt froh, dass sie ihn durch die Strapazen begleitete.
    Das lang gestreckte Haus mit dem auffallenden Giebel war aus roten Ziegeln und grauem Sandstein erbaut. Über seine gesamte Länge lief eine Veranda mit quadratischen Steinsäulen, auf einer Giebelseite lagen hohe bleiverglaste Fenster, die mit ihren zugezogenen Vorhängen wie geschlossene Augen wirkten.
    Massive Dachrinnen aus Zink begrenzten das Schieferdach, mehrere überdachte Kamine ragten darüber hinaus. Die trutzige Bauweise war typisch für die bombastische Architektur der zwanziger Jahre. Da sie hier jedoch ganz offensichtlich dem 279
    Zweck diente, den atlantischen Stürmen Stand zu halten, verlieh sie dem Haus trotz seiner monumentalen Form und Größe einen gewissen zeitlosen Reiz. An den Ecken des Balkons im zweiten Stock – dem Verandadach – saßen Löwen mit Klauenfüßen.
    Während Chandler mit der Taschenlampe im Regen stand, sah er im Geiste Frauen in hellen Kleidern auf der Veranda und Männer im weißen Flanell mit Tennisschlägern in der Hand, deren Club-Krawatten in der kühlen Ozeanbrise wehten – ein Sommerwochenende vor fünfzig Jahren. Doch die Bilder waren rasch verschwunden, als Polly ihm unter dem Schutz der Veranda zurief: »Komm her, du Verrückter! Bleib nicht im Regen steh’n!«
    An der riesigen Eichentür, die von schmiedeeisernen Bändern und Scharnieren gehalten wurde, prangte ein Messingschild, auf dem in einfacher Blockschrift ein einziges Wort stand: STRONGHOLD. Der Schlüssel drehte sich leicht im Schloss, die wuchtige Tür schwang quietschend zurück – wie bei ihrer Ankunft in Prassers Haus in Maine, nur wesentlich imposanter: als ob sie durch immer größer werdende Spiegel schritten, für immer zur Flucht verdammt, ständig voller Angst …
    Stronghold war sofort bewohnbar. Wahrscheinlich kam in regelmäßigen Abständen jemand von Kap Breton herüber, der für Ordnung sorgte. Polly und Chandler waren nach einer Stunde bereits frisch gebadet in riesige Badetücher gewickelt, ihre Kleidung trocknete vor dem Küchenherd, in der Bibliothek prasselte ein Feuer, wieder glänzten die Goldbuchstaben matt auf den Buchrücken. »Prosser muss einen guten Draht zu Hollywood haben«, bemerkte Polly. Der Regen schlug wie ein Steinhagel an die Fenster.
    Oben, wo auch ein Feuer im Kamin loderte, stand die ausgepackte Tasche. Im Kühlschrank fanden sie eine Reihe tiefgefrorener Steaks und Gemüse, dazu Orangensaft; doch ihre Wahl fiel auf gebutterten Toast und Kaffee. Sie genossen den dampfenden Kaffee in der Bibliothek, waren für die Wärme 280
    dankbar. Dann kuschelten sie sich dicht vor dem knisternden Kamin zusammen, spürten die Hitze auf ihren Gesichtern, niesten und lachten und jammerten, weil sie so erschöpft waren.
    »Du siehst fix und fertig aus«, schniefte sie. Wenn sie sich vom Kamin abwandte, konnte er ihren Atem wie
    Rauchwölkchen sehen.
    »In diesem Fall trügt der Schein mal nicht.« Er lehnte sich an einen Stuhl und streckte seine kalten, klammen Füße ans Feuer, zog das Badetuch fester um sich und gähnte ausgiebig. »Hier bleiben wir, mein Schatz. Unser letztes Gefecht – bauen wir eine Wagenburg. Ich bin weit genug gelaufen.«
    »Du hast ja Recht. Wir können nur warten und uns dem Schicksal stellen.« Ihr Gesicht bekam einen ungeduldigen Zug.
    »Wenn wir bloß wüssten, was Prosser im Schilde führt. Er ist mir nicht ganz geheuer.«
    »Geh nicht so hart mit ihm ins Gericht. Was, wenn er dort im Haus liegt? Von dem verrückten Hund erschossen? Was machen wir dann? Wie kommen wir von hier weg? Sollen wir warten, bis jemand nachschaut, ob die Leitungen eingefroren sind? Wir können nur das Beste hoffen … Das Telefon ist tot, ich hab’s

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