Aquila
Gebüsch. Sie kletterten wieder in den Pinto und fuhren langsam davon. In der Straße blieb alles ruhig.
Thorny fand keine Worte, und Ozzie stellte Zufriedenheit zur Schau, während sich seine Finger rhythmisch um die Zange in seiner Tasche schlossen. Manchmal war die Zange einfach zu langsam …
»Tatsache ist, Thorny, alter Kumpel, du hast die Sache vermasselt.«
Sie saßen in einer durchgehend geöffneten Cafeteria. Ein scheintoter Säufer wischte eine Ecke des schlauchähnlichen weiß gekachelten Bodens. Das Neonlicht an der Decke flackerte nervtötend. Der Fußboden war mit hereingetragenem Matsch bekleckert. In der Ecke hinter der Theke rief der Mann zum zwanzigsten Mal in zehn Minuten: »Ein Hoch auf die
Engländer!«
Thorny starrte seinen getoasteten Muffin an.
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»Du hast ihn umgebracht«, sagte er verstört.
»Dieses Harvard-Bübchen … Du kamst an ihn nicht ran, so viel steht fest.«
»Ich bin immer noch überzeugt, dass es in der Büchertasche war. Hundertprozentig. Also muss er es irgendwo deponiert haben, nachdem er uns entwischt ist. Aber wo?« Er rieb sich die Augen mit den Knöcheln.
»Jammere nicht, Thorny«, mahnte Ozzie. »Wir kriegen es.
Wie einst im Mai: Wir zeigen’s ihnen.«
»Mir tun die Augen weh. Ich krieg ’ne Erkältung.«
»Ich glaube, die sind auf uns stinksauer.« Ozzies Laune verdüsterte sich zu rasch. Thorny kannte die Anzeichen. Er fragte sich, was er tun sollte. Konnte er sich Ozzies Stimmung zu Nutze machen? Mein Gott, was für ein Gedanke …
»Würde mich nicht überraschen, Oz.« Er trank einen Schluck Kaffee und spülte drei Excedrin mit einem Glas Eiswasser runter.
»Bloß ein Haufen Schweinkram«, meinte er grübelnd. »Sonst nichts. Vielleicht hat er es an jemanden geschickt, oder an jemanden in Boston übergeben. Er ist in Richtung Park Street gefahren …«
»Was nicht heißt, dass er dort ausgestiegen ist.«
»Alles ist möglich, Oz.«
»Auch möglich, dass er es bei Chandler gelassen hat … Wenn er da schon die Wichsblätter in der Tasche hatte, konnten wir nicht merken, dass das Bild weg war.«
Schweigend starrten sie auf die fast menschenleere, abweisend kalte und dreckige Straße jenseits des riesigen kahlen Fensters.
Ein Lastwagen holperte vorbei und übergoß den Pinto mit klebriger grauer Brühe.
Thorny trommelte mit den Fingern auf den Stapel
Zeitschriften. »Weißt du«, sagte er, »manchmal frage ich mich, was so wichtig ist an dem Bild … wieso die das haben wollen.«
»Und ich frag mich, wer das Geld für uns rausrückt. Zehn 46
Riesen für ein bisschen Zappzarapp.« Er seufzte tief aus seiner breiten Brust. »Und jetzt haben wir einen Toten und kein Bild.«
»Ich weiß nicht, wie’s dir geht – aber ich habe Schiss, es ihnen zu sagen.« Thorny schien immer kleiner zu werden in seinem Mantel. Er schnäuzte sich und starrte in sein Kleenex.
»Was wollen wir sonst machen?« Er bettelte mit den Augen wie ein Hund. »Ich brauch den Zaster, Thorny.«
»Wir denken uns was aus …«
»Wie sauer werden die sein?«
»Stinksauer. Aber sie verschmerzen es bestimmt, wenn wir das Ding finden … Aber wir müssen vorsichtig sein, Ozzie.
Kapiert? Verdammt vorsichtig …«
In den oberen Gefilden des John Hancock Building, das den vornehmen alten Copley Square überragte wie eine Säule aus silberblauem Eis, saßen drei Männer um einen leeren Tisch, der perfekt zum Stil des Gebäudes passte. Die gläserne Tischplatte war drei Zentimeter dick und vier Meter lang. Sie lagerte asymmetrisch auf einem wuchtigen flachen Marmorzylinder.
Die Stühle waren aus Chrom und Leder, und den drei
kultivierten Herren, die darauf saßen, sah man an, dass sie sich im Harvard Club in der Commonwealth Avenue vermutlich wohler gefühlt hätten. Das Zimmer war leer bis auf eine Chromleuchte, deren konisch geformter Reflektor die Szene widerspiegelte, und einige Holzreste, ein paar verstreute Sägespäne sowie zwei große Sperrholzplatten. Nur eine einzige vom Boden bis zur Decke reichende Fensterscheibe war noch intakt, die übrigen waren vom Wind eingedrückt und durch Sperrholz ersetzt worden, wie überall in den zweiundsechzig Stockwerken. Von draußen erinnerte das Gebäude an einen zahnlückigen Dorftrottel.
Der älteste der Herren rieb seine Hände an einer hellen Dunhill-Bruyere, um sie zu wärmen. In dem kahlen Raum war es kalt. Atemwölkchen hingen zwischen ihnen in der Luft.
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»Haben Sie eine Ahnung, was hier vorgeht?«
»Zwangsläufig,
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