Aquila
Andrew. Ich habe das Treffen organisiert.«
»Kommen Sie, was ist los? Ich muss heute noch zurück nach Washington. Wir arbeiten dort nämlich für unser Geld.«
»Das wird nichts heute Abend. Ich habe was zu tun für Sie –
und Logan liegt im Nebel. Sehen Sie mal …« Er deutete zum einzigen Fenster hinaus. Der Mond stand hell am teilweise bewölkten Himmel. »Da oben ist es klar … aber unten am Boden gibt’s Regen und dichten Nebel. Wir besorgen Ihnen im Ritz ein Zimmer.« Er paffte und ließ dabei den Pfeifenstiel an seine Zähne klicken.
»Ihnen auch, Liam.«
»Einverstanden.« Liam hatte einst volles rotes Haar gehabt, doch nun hing nur noch ein rostiggrauer Kranz dicht über seinen Ohren wie Staubflusen.
»Nun sagen Sie uns, was los ist …«
»Ich weiß natürlich nicht genau, was los ist. Aber es gibt beunruhigende Alarmzeichen an seltsamen Orten …
merkwürdigerweise hier in Boston. Vor ein paar Tagen trafen am Logan Airport zwei Profis ein – Söldner, ohne feste Bindung, die für Geld Aufträge ausführen. Zufällig wurden sie von einem unserer Leute am Flughafen erkannt. Er gab uns Bescheid, und wir ließen die beiden beschatten. Anscheinend haben sie nichts davon bemerkt …« Er stopfte die Pfeife mit einem winzig kleinen Mr.
Pickwick aus Bronze und sog
schlabbernd daran.
»Für wen arbeiten sie? Was tun sie hier, zum Kuckuck?«
Andrew machte eine Kunstpause; er formte ein O mit seinem gepflegten kleinen Mund und blinzelte hinter seiner Nickelbrille.
»Ich kann beide Fragen nicht beantworten. Was mir am meisten Sorge macht: Unsere Oberen halten sich bedeckt. Sie geben weder zu, dass die beiden für sie tätig sind, noch streiten sie es ab. Das bedeutet, die beiden Typen könnten auch für uns 48
arbeiten … Jetzt habe ich den ganzen Tag herumtelefoniert und mir den Mund fusselig geredet. Ich wollte ein einfaches Ja oder Nein hören, aber sie gönnten mir nicht mal einen leisen Rülpser.
Sie sagen nichts!« Er seufzte tief und zog den Schal enger um den Hals. Er war alles andere als jung, und er war alles andere als gesund, doch damit konnte er sich später befassen. »Wer immer ihre Auftraggeber sein mögen – die beiden wohnen jedenfalls im Harvard Motor Hotel –«
Andrew stieß ein langes Stöhnen durch das winzige O seines Mundes. »Es sieht nach einem Fall von Landesverrat aus …
jemand von Harvard oder MIT.« Er pfiff leise durch die Zähne.
»Ich hasse so was. Der Fall von damals geht mir nicht aus dem Kopf –«
»Man inszeniert nicht alle Tage auf der
hundertachtundzwanzig einen tödlichen Autounfall.« Liam schauderte bei der Erinnerung. »Was für eine Sauerei.«
»Wir sollten nicht gleich zum letzten Mittel greifen«, meinte der Alte. »Die Leute arbeiten vielleicht für uns, das dürfen Sie nicht vergessen. Irgendwie müssen wir’s herausfinden …«
»›Nobelpreisträger als Spion‹«, sagte Andrew. »Ich sehe schon die Schlagzeilen …«
»Aber wie sollen wir’s rausfinden?«, murrte Liam. »Wenn unsere Seite mauert?«
Mit der Pfeife zwischen den Zähnen stand der alte Herr langsam auf und steckte die knotigen, blau geäderten Fäuste in die Taschen seines grauen Fischgrät-Sakkos. Er trat an das Fenster und starrte hinaus in die Nacht. Unter ihm lag Boston rötlichgelb verwaschen im Bodennebel.
»Zwei Dinge wissen wir: Erstens, sie haben einen Harvard-Studenten namens Bill Davis verfolgt. Zweitens, sie haben ihn vor drei Stunden umgebracht und seine Büchertasche gestohlen
…«
»Ihn umgebracht?« Liams Stimme klang erstaunlich gefühllos.
»Ja, Liam. Und mir ist jetzt scheißegal, welches Spiel die 49
Bosse spielen … Ich will wissen, warum diese Idioten Bill Davis umgebracht haben. Mit wem der Junge an der Uni zu tun hatte. Hören Sie sich um und beobachten Sie die beiden Männer
… Ich will alles wissen. Klar?«
Liam und Andrew nickten. Liam klopfte ein Klümpchen Asche aus dem dick verklebten Kopf seiner alten schwarzen Pfeife.
»Andrew, Sie werden nach Washington zurückfliegen können, wenn wir hier fertig sind.«
Der alte Herr schlüpfte in einen schweren Burberry-Mantel und nahm seinen Schirm. »Ich melde mich wieder. Viel Spaß im Ritz, meine Herren.«
50
MITTWOCH
Matschig vom letzten Schnee lag Harvard Yard jenseits der streifigen Fensterscheiben des überheizten Seminarraums. Der kalte Regen machte die Dinge auch nicht besser. Das war Professor Colin Chandler die liebste Zeit im Jahr. Das Wetter lockte den Stubenhocker nicht
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