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Aquila

Aquila

Titel: Aquila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gifford
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aktuellen Stunde oder der Bestechungsskandal bei Lockheed oder Nixons Chinareise … Wir lösen uns kurz vom Alltagsgeschehen und konsumieren eine knappe halbe Minute lang die komprimierte Geschichte der amerikanischen Beziehungen zu China oder die Korruption in der Regierung oder die Rolle des Spions in der westlichen Welt. Das Leben wird zu einem endlosen Strom von Minutenhäppchen, die uns von Shell Oil präsentiert werden und die in immer kürzerer Folge durch die Zeit jagen.«
    Er hielt inne und sah in sein Publikum. Sie gehörten alle zur Fernsehgeneration, zur ersten, die mit dem Medium
    aufgewachsen war, und er fragte sich zum hundertsten Mal, ob sie ihn wirklich verstanden. Sie waren das Produkt dessen, was sie ihr Leben lang konsumiert hatten. Konnte man sie dafür verantwortlich machen? Konnte Harvard in vier kurzen Jahren den Schaden wieder gutmachen?
    »Ich sage ja nicht, dass das alles schlecht ist.« Er schüttelte 53
    den Kopf. »Keineswegs. Aber es reicht nicht aus. Diese eine Sicht auf unser Dasein und unsere Herkunft reicht einfach nicht.
    Fernsehzeit ist teuer, und deshalb müssen Informationen und Analysen knapp, prägnant und unterhaltsam sein. Knapp, prägnant, unterhaltsam … nicht unbedingt intelligent oder tief schürfend oder korrekt. Das Fernsehen schafft eine Illusion – ein großes gemeinsames Wohnzimmer, in dem wir alle um die elektronischen Weisen herumsitzen und das gleiche Zeug konsumieren – alle das Gleiche, ob richtig oder falsch. Und wir Konsumenten haben die Macht, das Gesehene zur Realität werden zu lassen – zur Wahrheit, wie sie von CBS und NBC
    und ABC gesehen wird. Aber das ist nicht die Wahrheit. Es ist nur ein Teil davon, ein Quäntchen der Wahrheit … Wo finden wir nun die Wahrheit? In der New York Times ? Ja, etwas davon steht in der New York Times . Und etwas in Newsweek und wieder etwas im Rolling Stone, und es gibt Bruchstücke davon in diversen Memoiren, die jeweils an den Verlag verhökert werden, der das höchste Gebot abgibt.« Er lehnte sich vor und versuchte, einigen seiner Hörer in die Augen zu sehen. »Aber das meiste, was wir über uns und unsere Vorfahren heutzutage lesen und sehen, ist Teil der verkäuflichen Illusion, die sich
    ›Geschichte‹ nennt. Und nur ein geringer Teil davon hat etwas mit der Wirklichkeit zu tun. Es ist maßgeschneiderte Geschichte, zugeschnitten auf die verschiedensten gängigen Theorien, die gerade im Trend sind … Und beim
    amerikanischen Revolutionskrieg geht es wieder um das Thema Illusion und Wirklichkeit. Sie müssen sich in die Menschen jener Zeit hineinversetzen, die Dinge so sehen wie sie, Sie müssen erkennen, was sie wussten und wie viel ihnen entgangen ist, was sie für wirklich hielten … Das Etikett, das wir gern Menschen aufdrücken, die den Gang der Geschichte ändern, passt nur selten.«
    Er ließ seinen Ideen freien Lauf – Ideen, die er sich im Lauf der Jahre sorgsam erarbeitet hatte. Er trug sie beinahe 54
    automatisch vor, jedenfalls an dem Tag. Er sprach über große Männer und über Schurken und wie sie zu dem einen oder dem anderen geworden waren, und er betrachtete die Frau in der letzten Reihe. Ein vertrautes Gesicht … kannte er sie? Nein, das nicht … aber irgendwie vertraut. Immer, wenn er zu ihr hinsah, hatte sie den Blick auf ihn gerichtet. Warum auch nicht? Er war ja der Dozent.
    Er schlenderte zum Heizkörper und trat mit dem Fuß dagegen, denn er hatte schon vor Wochen erkennen müssen, dass kein Versuch, das Ding auf vernünftige Art zu beeinflussen, auch nur den geringsten Erfolg zeigte. Er steckte die Hände in die Taschen seines Tweed-Sakkos, ertastete Fusseln, Tabakkrümel und abgerissene Kinokarten, und wartete. Sie sollten Gelegenheit haben, das Wesentliche einer Sache klar zu erkennen, bevor er ins Detail ging. Komisch, sie starrte ihn immer noch an. Wieso hatte er das Gefühl, ihr Name läge ihm fast auf der Zunge?
    »Nun kommen wir zum Kern dieser Veranstaltung, zur
    amerikanischen Revolution. Bevor wir uns mit Einzelheiten befassen, möchte ich kurz über die Bedeutung von zwei noch wichtigeren Wörtern sprechen: Revolution und Verrat. Der allgemeine Sprachgebrauch wird ihnen nicht gerecht. So hat zum Beispiel eine Umfrage vor nicht allzu langer Zeit ergeben, dass die Amerikaner sich weder in der Geografie noch in der Geschichte auskennen – obwohl sie glauben, sie wüssten Bescheid.« Chandler nahm die Brille von der gebogenen Nase und akzentuierte mit ihr seine Worte:

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