Aquila
»Eigenartig, nicht? Klingt wie ein Testament. Das wäre alles, Professor. Ich habe mich diskret mit Ihnen in Verbindung gesetzt.«
»Wo ist das Päckchen jetzt?«
»Hier, mitten auf dem Küchentisch. Es liegt direkt vor mir.«
»Ich schau’s mir mal an, Mr. Davis.«
»Vorsicht, junger Mann. Nat Underhill ist etwas zugestoßen –
als hätte er’s erwartet. Schätze, Sie können das als Warnung nehmen. Ich zumindest –«
»Ja, ist mir klar. Ich hatte schon Besuch von den Kerlen, die meines Erachtens Bill und vielleicht auch Nat Underhill auf dem Gewissen haben.«
»Tatsächlich?«, meinte er trocken. »Und Sie leben noch. Sind wohl nicht von gestern, wie?«
»Ich bin untergetaucht, wie man zu John Buchans Zeiten sagte«, erwiderte Chandler.
»Ich will nicht wissen, wo Sie sind. Mit dem Päckchen hier auf dem Tisch habe ich genug am Hals.« Er lachte bitter. »Ihren Hinweis auf John Buchan habe ich übrigens verstanden. Die Neununddreißig Stufen … Mr. Memory vergesse ich nie. Hab mal so einen Gedächtniskünstler auf der Bühne gesehen, oben in Neuschottland, in Halifax … Wie geht’s denn jetzt weiter?«
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»Wir kommen nach Kennebunkport –«
»Wir?«
»Eine Freundin. Wir fahren zusammen rauf.« Er sah Polly an.
Sie nickte mit einem breiten Lächeln, als wollte sie einem begriffsstutzigen Studenten zeigen, na, endlich hast du’s kapiert.
»Je früher, desto besser«, sagte Percy Davis kurz. »Sie wollen sich ja nicht dort in Boston umbringen lassen. Könnte durchaus passieren …«
»Wir versuchen, heute Abend bei Ihnen zu sein. Ich muss noch ein paar Sachen erledigen.«
Die Leitung war tot.
»Sagen Sie, was los ist!« Polly sprang auf. Sie stemmte die Fäuste in die Hüften und lief im Kreis um den Tisch. Chandler erzählte von Nats Brief.
»Wunderbar!« Sie packte ihn am Arm. »Wir haben’s beinahe geschafft! Großer Gott, heute Abend wissen wir, worum es geht
…«
Sie warf ihm einen beunruhigten Blick zu. »Kommen Sie mit.« Sie zog ihn ins Wohnzimmer. »Ich wollte Ihnen das Frühstück nicht verderben.« Vorsichtig öffnete sie den Vorhang einen Spalt breit.
»Ich habe sie entdeckt, während Sie unter der Dusche standen.«
Am Ende der Straße stand ein roter Pinto.
Er spürte, wie sich eine seltsame Starre unterhalb seines Zwerchfells ausbreitete. »Kommen Sie, wir können nicht wegen jedes kleinen roten Autos die Panik kriegen. In Boston müssen Tausende roter Pintos herumfahren.«
»Aber nur einer mit dieser Nummer.«
»Sie haben sie überprüft? Sie hatten wirklich den Nerv –«
»Egal, was ich hatte oder nicht«, meinte sie ungeduldig. »Es ist die gleiche Nummer, glauben Sie mir.«
»Mein Gott«, murmelte er und fuchtelte mit den Armen wie ein Verkehrspolizist oder ein Applaus-Dirigent, »bis Sie gestern 144
zu meinem Haus fuhren, hatten wir nicht mal was von dem verdammten Pinto gehört … Ja, das ist es! Das muss es sein!«, rief er plötzlich.
»Was meinen Sie?«
»Wie die uns hier gefunden haben! Kommt Ihnen das nicht komisch vor, dass die uns so rasch aufgestöbert haben?« O ja, langsam blickte er durch bei diesen Mantel-und-Degen-Geschichten – oder wie man das jetzt nannte. Auf jeden Fall hatte er dazugelernt.
»Ja, irgendwie schon. Hören Sie doch auf herumzufuchteln!«
»Die haben Sie nämlich gestern früh vor meinem Haus gesehen! Ihr berühmtes Gesicht, Schätzchen. Sie müssen Sie erkannt haben. Wahrscheinlich haben sie sich jeden Abend Ihre Kommentare zu ihrer Arbeit angehört.«
»O je«, seufzte sie, »das ist die Strafe für hohe
Einschaltquoten. Grässlich, auf Schritt und Tritt erkannt zu werden.«
»Ich meine es ernst, Sie Quatschkopf.« Er spähte noch einmal aus dem Fenster. Der Himmel war grau, ab und zu zeigte sich ein blaues Fleckchen, das rasch wieder hinter den Wolken verschwand. Auf der Straße war alles ruhig – ein verschlafener Morgen. Kalt und wie dafür geschaffen, zu Hause am Feuer zu sitzen. So weit er sehen konnte, saß niemand im Pinto. Aber er hatte einen schlechten Blickwinkel: In der Windschutzscheibe spiegelten sich die Platanen an der Bordsteinkante, die Ziegelfassaden und ein Stückchen grauer Himmel. »Sie wissen jetzt, dass Sie mit mir gemeinsame Sache machen. Sie stecken also genauso tief in der Tinte wie ich. Mitgefangen, mitgehangen, verstehen Sie? Ich könnte Ihnen verraten haben, wo das Dokument ist, oder es Ihnen gegeben haben. Sie sind als Mitwisserin verdächtigt … Ich weiß nicht, ob ich darüber
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