Aquila
den offenen Copley Square blies. Er wartete neben der eisigen Fassade des John-Hancock-Gebäudes.
Schließlich gelang es ihm, sieben Minuten nach vier ein Taxi anzuhalten, das in die richtige Richtung fuhr. Gleichzeitig schwitzend und frierend lehnte er sich zurück und gewöhnte sich langsam an die aufwühlende Mischung aus Angst und
Erwartung, die sich in seinem Magen ausbreitete. Polly war jetzt bestimmt schon bei Nora.
Der riesenhafte Indianer am Boston Museum of Fine Arts 150
begrüßte ihn schweigend mit ausgestreckten Armen. In einer Wolke giftiger Abgase entfernte sich das Taxi. Eine Straßenbahn keuchte heran. »Hallo«, sagte er zu dem Indianer und fragte sich, ob es einen Tagesrekord gab für Gespräche mit Reiterstatuen. »Schöne Grüße von George aus den öffentlichen Anlagen …«
Er bezahlte und ging durch die Sperre, dann weiter über die lange hallende Treppe bis zur ägyptischen Sammlung.
Keine Spur von Hugh. Chandler lief durch die Räume, die er fast für sich allein hatte. Der Museumswärter gähnte und lächelte müde am Ende dieses langweiligen Samstags. Chandler wartete in der Nähe von Lady Sennuwy, der schönsten Frau der Welt. Viertausend Jahre alt, und immer noch die Schönste …
Eine Viertelstunde später rumpelte Brennan durch die Tür.
»O Gott«, schnaufte er und wischte sich die Nase. »Tut mir leid, dass ich so spät komme. Bei Avis gab’s ’ne Panne. An der blöden Kiste war ’ne Sicherung durchgebrannt. Wie geht’s dir denn?«
»Gut. Der Wagen steht unten?«
»Ja. Sag mal, Colin, hast du mit der geredet?« Er deutete mit dem Daumen auf Lady Sennuwy.
»Mach dich nicht lächerlich.«
»Ich bin ein einziges Nervenbündel«, verkündete Brennan. Er unterdrückte ein Niesen. »Aber auf perverse Art macht’s auch Spaß. Ich habe einen braunen Wagen genommen. Braun und unauffällig. Weiß nicht mal, welche Marke. Sag mal, bist du dabei, irgendeinen Blödsinn zu machen? Was Gefährliches?«
»Was soll ich dazu sagen?« Chandler zuckte die Achseln. »Ich bin da reingeschlittert. Auf Abenteuer wie diese kann ich verzichten, wenn du das meinst. Aber ich kann Percy Davis nicht ignorieren, oder? Es geht um ein Vermächtnis. Zwei Menschen sind gestorben, und sie haben mir dieses Ding auf dem Küchentisch in Kennebunkport hinterlassen. Ich kann nicht so tun, als ginge mich das nichts an.«
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Brennan nickte düster. Offensichtlich war er nicht überzeugt.
»Hast du die Kerle im roten Pinto noch mal gesehen?«
»Nicht, seit sie an meinem Haus vorbeigefahren sind. Es kann aber auch ein anderer roter Pinto gewesen sein.«
»Glaubst du an den Weihnachtsmann? Im Augenblick stehen sie vor Pollys Haus und warten auf Gott-weiß-was.«
Brennan suchte nach seinem altgedienten Kleenex und rubbelte an seiner roten Nase. »Es ist kaum zu fassen …«
»Aber Dank deiner Hilfe und des Schlittens von Avis haben wir sie jetzt abgeschüttelt. Komm, gehen wir.«
Als sie aus dem Haupteingang traten, war es schon dunkel und leicht neblig. Brennan gab ihm die Schlüssel und führte ihn zu dem braunen Wagen auf dem verlassenen Parkplatz, auf dem das Wasser traurig in den Pfützen stand.
»Viel Glück«, wünschte ihm Brennan hustend. Er hatte den weichen Filzhut tief über die Ohren gezogen. Seine Nase war verstopft, und er sah aus wie ein Häufchen Elend. »Sei vorsichtig.«
»Kopf hoch«, sagte Chandler, während er die Segeltuchtasche auf dem Rücksitz verstaute. »Geh heim und pflege deine Erkältung. Ich melde mich.« Sie schüttelten sich die Hand.
»Wenn wir erst mal wissen, was Sache ist, kommt alles wieder ins Lot.«
Als er den braunen Wagen auf die Straße lenkte, sah er Brennans untersetzte Gestalt im Regenmantel an der
Straßenbahnhaltestelle stehen. Im Scheinwerferlicht blickte er mit rot unterlaufenen Augen auf und sah dabei aus wie ein riesiger wilder Eber.
Chandler fuhr winkend zurück in die City. Die behäbige Gestalt seines Freundes verlor sich rasch im nächtlichen Dunkel.
»Herrgott noch mal, mein Gesicht bringt mich um!«, jammerte Ozzie. Sein Doppelkinn schwabbelte, als er mit gekrümmten Fingern über den Verband auf seiner linken Gesichtshälfte fuhr.
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»Fühlt sich an, als wäre meine Haut ’ne einzige Blase.« Er stöhnte leise vor sich hin, während er an seinem letzten Zigarillo mit Kirschgeschmack nuckelte – was seiner Kurzatmigkeit nur förderlich war. »Aber das kümmert dich einen Dreck.«
»Stimmt nicht«, keuchte Thorny, »aber das
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