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Aquila

Aquila

Titel: Aquila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gifford
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Prophezeiung erfüllen. Dann habe ich Gott sei Dank das Nachsehen.«
    Sie kniete sich kurz vor ihn hin und küsste ihn. Ihr Kuss war weder flüchtig noch leidenschaftlich – wie nach dem Liebesakt.
    Genau so fühlte sich Chandler, als er sie ins Schlafzimmer gehen sah. Seltsam …
    140
    SAMSTAG
    Als Chandler am nächsten Morgen aufwachte, saß Polly auf seinem Sofa. Sie trommelte mit einer zusammengerollten Zeitung auf den Tisch und rief ständig seinen Namen.
    »O Gott«, murmelte er, »seien Sie still!«
    »Ich konnte nicht warten, bis Sie von selbst aufwachen«, erklärte sie zur Entschuldigung. Hübsch und ausgeruht sah sie aus in ihrem Bademantel. Das Haar trug sie nach hinten gebürstet, ihre Augen glänzten. Er selbst kam sich vor wie eine alte Tennissocke. »Ich dachte, Sie würden das hier ganz gern sehen.« Sie hielt ihm Seite 3 der Morgenzeitung vor die Nase.

    HARVARD-PROFESSOR VERSCHWUNDEN? GESUCHT
    ZUR AUSSAGE IN ZWEI MORDFÄLLEN

    Neben der Schlagzeile starrte ihn sein eigenes Gesicht ziemlich verschwommen und hochmütig an. Sie gab ihm die Brille, während er sich mühsam aufrichtete und die Decke bis unters Kinn zog.
    »Wer sucht mich, verdammt noch mal? Klingt, als würde ich verdächtigt.« Er konnte sein Grinsen nicht verbergen.
    »Es klingt irreführend. Sie werden nicht von der Polizei gesucht, sondern von den Reportern.«
    »Mehr als irreführend, würde ich sagen.« Der Artikel enthielt nichts Unerwartetes: Spekulationen, Chandlers Verschwinden, eine Verbindung zu Hugh Brennan. »Du lieber Himmel, sie sind sogar zu Prosser gegangen«, murmelte er und erinnerte sich daran, wie Brennan auf ihn eingeredet hatte, den Dekan anzurufen. Prosser hatte den Reportern gesagt: »Professor Chandler ist ein erwachsener Mann. Vielleicht ist er übers Wochenende verreist, um Verletzungen seiner Privatsphäre zu entgehen. So weit ich sagen kann, ist Professor Chandlers 141
    Verwicklung in diese unangenehme Affäre einzig und allein das Resultat unverantwortlicher Spekulationen der Medien. Ich bin von Herzen froh, dass er nicht erreichbar ist.« Ganz der alte Prosser.
    Polly folgte ihm ins Bad und sah ihm von der Türschwelle aus beim Rasieren zu. Schließlich schob er sie raus und schloss die Tür, weil er duschen wollte. Kaum zu glauben: Sie wuchs ihm ans Herz.

    Die Stimme am andern Ende war trocken und zerbrechlich – wie Kreide. Und geschäftsmäßig. Percy Davis stammte aus Maine, wo man schnell zur Sache kam. Chandler nannte seinen Namen und sagte, dass er am Abend zuvor schon angerufen hatte. Er fragte, worum es ging.
    »Ich bin Bill Davis’ Großvater«, erklärte die herbstliche Stimme. »Es gibt keinen Anlass, mich zu trösten, Professor –
    keinen. Bill ist tot, und sicher tut es Ihnen leid. Ich rufe wegen eines Päckchens an, das ein gewisser Underhill hier ins Gasthaus geschickt hat. Der ist jetzt auch tot. Ziemlich unbefriedigend, würde ich sagen. Ich habe das Päckchen nicht aufgemacht, aber es lag ein Brief bei. Wenn Sie nichts dagegen haben, lese ich Ihnen den vor.«
    »Bitte«, sagte Chandler. Das Geheimnis lüftete sich, und ihm wurde flau im Magen. Polly saß am Küchentisch und starrte ihn an.
    »›Ich glaube, dass Ihr Enkel Bill, ein netter junger Mann und ein Freund von mir, ermordet wurde, weil er ein so seltsames und wertvolles Dokument besaß, dass für diejenigen, die es unter allen Umständen in ihren Besitz bringen wollten, ein Menschenleben nur ein zeitweiliges Hindernis darstellte. Im Augenblick erscheint es mir das Beste, das Dokument aus dem Verkehr zu ziehen, weil es einfach zu risikoreich ist, es zu behalten. Niemand weiß, dass ich es Ihnen schicke.
    Zwangsläufig werden die, die es haben wollen und bereit sind, 142
    dafür zu morden, noch gefährlicher, wenn sie entdecken, dass ihre Beute verschwunden ist. Aber ich bin in einer Zwangslage, und ich kann es nicht direkt an die Person schicken, die es früher oder später verifizieren muss: Professor Colin Chandler von der Harvard-Universität. Er ist ganz offensichtlich der logische Empfänger; ich muss auf seine Sicherheit Rücksicht nehmen.
    Sein Gutachten über die Echtheit des Dokuments ist unbedingt erforderlich. Ich werde Ihnen demnächst sagen, was mit dem Päckchen geschehen soll. Bitte unternehmen Sie nichts, bevor Sie von mir hören. Sollte mir jedoch etwas zustoßen, so versuchen Sie bitte, sich so diskret wie möglich mit Chandler in Verbindung zu setzen.‹« Percy Davis schwieg einen
    Augenblick.

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