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Aquila

Aquila

Titel: Aquila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gifford
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Suche nach Harry – wer immer er gewesen sein mochte – hatte sie das Leben gekostet.
    Aus Angst, sich zu bewegen, lehnte er sich an einen Baum und spürte, wie die nasse Vorderseite seiner Hose steif fror. Er hörte kein weiteres Scharmützel, nur schwächer werdende Geräusche von der Flucht seiner vermeintlichen Kameraden – so weit sie überlebt hatten. Was ging ihnen wohl durch den Kopf, fragte er sich. Drei Tote – mein Gott, was war da zu machen? Wie konnte eine ruhige Nacht so ausarten? Er zitterte unkontrolliert, wie im Fieber.
    Waren die Männer, die er heimlich beobachtet hatte, endgültig verschwunden? Er glaubte es nicht so recht; bei ihrer Flucht hatten sie nichts mitgenommen. Aber wo steckten sie? Er musste warten, denn er konnte nicht riskieren, ihnen im Dunkeln über den Weg zu laufen. Anscheinend machten sie beim Töten 18
    kein großes Federlesen …
    Er durfte nicht einschlafen, sonst wäre er erfroren. Er durfte sich nicht bewegen, sonst hätte er seine Position verraten.
    Schließlich setzte er sich nieder und wartete.
    Ungefähr eine Stunde musste vergangen sein, als er sie von jenseits der Lichtung zurückkehren hörte. Bei den ersten Geräuschen begann er seinen eigenen vorsichtigen Rückzug. Er hatte sich auf seinen Ärmel erbrochen. Er stank. Muskete weg, Mantel zerrissen, ein Stück Papier in der Tasche, die Hosen steif von gefrorener Pisse – außerdem war er Zeuge von drei Morden und von Hochverrat.
    Seine Furcht hatte jedoch gerade erst begonnen.
    Am folgenden Tag fragte niemand William Davis nach der verschwundenen Muskete. Das Lager war groß und aufs Überleben ausgerichtet, nicht aufs Kämpfen. Er hörte Gerüchte über drei Vermisste, aber keine offizielle Bestätigung, nur vage Gerüchte, um die sich kaum jemand kümmerte. Man hatte keine Leichen gefunden. William vermutete, dass die drei Toten als Deserteure abgeschrieben wurden. Genau das, was aus ihren zu Tode erschrockenen Kameraden geworden war: Deserteure, die aus Valley Forge in Richtung Heimat geflohen waren.
    William überlegte, was er tun sollte. Konnte er sich irgendjemandem anvertrauen, ohne Beweise? Dann kam ihm das Blatt Papier in den Sinn, das noch in seiner Hosentasche steckte. Als er allein war, entfaltete er es und blickte auf die verschmierten und verdreckten Worte, die aber noch lesbar waren. Nur die obere Ecke des Blattes war auf der Strecke geblieben. Er las mit verschwommenem Blick, an dem sein ständiges Schwindelgefühl schuld war, und spürte, wie er vor Schwäche weiche Knie bekam.
    Die Sache überforderte ihn. Er konnte das Papier keinem Menschen zeigen. Er konnte damit nicht zu General Washington ins Hauptquartier gehen und auch nicht zu Captain Whittaker.
    Er wagte nicht, mit irgendjemandem darüber zu reden – nicht, 19
    bis er gründlich darüber nachgedacht hatte. Es konnte einfach nicht wahr sein … doch er hatte alles miterlebt, und, bei Gott, nun kannte er auch die Gestalt, die mit gezogener Pistole auf ihn zu gekommen war. Immer, wenn er die Augen schloss, sah er das Gesicht ohne erkennbare Züge im Mündungsfeuer der Pistole vor sich.
    Erschöpft und verwirrt band er das Blatt Papier zusammen mit Briefen seiner Mutter unter ein gerahmtes Bild von ihr, das ganz unten in seinem Tornister steckte. Er wusste sonst keinen Ort, um etwas zu verbergen. Dann sagte er seinem Bettnachbarn John Higgins, er möge dafür sorgen, dass seine wenigen persönlichen Habseligkeiten seiner Familie in Cambridge übergeben würden, sollte er der gefürchteten Ruhr zum Opfer fallen oder auf andere Weise umkommen. Überall rings um ihn war der Tod. Im Laufe des Tages wurde er immer bedrückter und konnte nichts essen. Er fühlte sich, als würde eine Ratte an seinen Eingeweiden nagen. Was sollte er anfangen mit seinem unglaublichen Wissen?
    In jener Nacht konnte er nicht schlafen. Nach Mitternacht, als seine Eingeweide revoltierten, wickelte er den zerrissenen Mantel um seinen fröstelnden Körper, tappte an seinen Kameraden vorbei, die überall in der Hütte ausgestreckt lagen und schliefen, und kam hustend im allgegenwärtigen Qualm nach draußen. Er wischte sich den Ruß aus den Augen und spürte, wie Talg und Schwefel sofort auf seiner Haut erstarrten, als er die Hütte verließ. Im Dunkeln lief er benommen durch die schmalen Gänge aus zerfurchtem, gefrorenem Morast und Schnee zur Latrine. Ein scharfer Wind nahm ihm den Atem, als er sich dagegen anstemmte. Zunächst sah er die beiden Männer nicht, die aus

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