Arabiens Stunde der Wahrheit
und die Lehre dieser âºTariqatâ¹ läÃtsich wie folgt resümieren: âºReinigung des islamischen Glaubens und Befreiung sämtlicher muslimischer Länder, zumal in Afrika, von der Herrschaft der Ungläubigen.â¹Â«
Die Besitzungen des Osmanischen Reiches im Maghreb â das Sultanat Marokko wurde nie unterworfen â wurden ab 1830 von den Franzosen erobert. Nachdem der Dey von Algier den französischen Konsul, der sich wegen flagranter Piraterie bei ihm beschwerte, mit seinem Fächer geschlagen hatte, war die Armee des Bürgerkönigs Louis-Philippe in Sidi Ferruch gelandet und hatte in langen Kämpfen gegen die Krieger des Emir Abd el-Kader Schritt für Schritt das heutige Algerien erobert. Der Bey von Tunis, dem Paris eine frei erfundene Invasion des Stammes der Krumir in Ost-Algerien anlastete, muÃte seinerseits das Protektorat Frankreichs akzeptieren.
Blieb also noch das heutige Libyen als locker verwalteter osmanischer Besitz. Dem setzten die Italiener ein Ende, die ihren Anteil an der nordafrikanischen Beute haben wollten und 1911 einen Krieg gegen die Hohe Pforte vom Zaun brachen. Die türkische Armee und die libyschen Wüstenkrieger, denen der spätere Gründer der modernen Türkei, Kemal Pascha oder Atatürk, als Befehlshaber zur Seite stand, wehrten sich verbissen. Erst Mussolini gelang es, im Jahr 1931 den Widerstand der Senussi zu brechen und deren legendären Führer, Scheikh Omar el-Mukhtar, der seitdem als Nationalheld gefeiert wird, gefangenzunehmen. Während die Franzosen seinerzeit den Emir Abd el-Kader nach Damaskus ins Exil schickten, endete Omar el-Mukhtar am Galgen. Die Hälfte der Bevölkerung der Cyrenaika wurde von den Faschisten in öde Landstriche deportiert.
Das italienische Joch endete mit der Niederlage Mussolinis im Zweiten Weltkrieg. Doch trotz der Unabhängigkeitserklärung am 1. Januar 1951 verharrte das Königreich der Senussi in quasi kolonialer Abhängigkeit. Der Militärputsch von 1969, als dessen Führer sich sehr bald der junge Offizier Muammar el-Qadhafi durchsetzen sollte, wurde von der Masse der arabischen Bevölkerung als Befreiungsschlag empfunden. Etwas Grundsätzliches hatte sich in dieserbettelarmen Wüstenfläche, deren Einwohner damals zu 94 Prozent Analphabeten waren und deren einzige staatliche Einnahme in der Pacht bestand, die Araber und Briten für ihre Stützpunkte zahlten, geändert, als im Jahr 1966 die Libyan American Oil auf immense Reserven an Erdöl und Erdgas stieÃ. Binnen kurzer Zeit wurde Libyen zu einem der wichtigsten Petroleum-Exporteure, verfügte bei einer Bevölkerung, die von damals drei Millionen auf heute 6,5 Millionen angewachsen ist, über die Möglichkeit, den rückständigen Nomadenstämmen und den Städtern der Küste eine wesentliche Verbesserung ihrer Lebensbedingungen zu verschaffen.
Qadhafi hatte vergeblich versucht, die panarabischen Pläne Nassers fortzuführen, ohne jeden Erfolg. Dieser blendend aussehende junge Oberst, der sich gegen eine ganze Serie von Verschwörungen behauptete, verwandelte sich in den vier Jahrzehnten seiner bizarren Alleinherrschaft zu einem Schreckgespenst für jede Opposition im Innern und eine Vielzahl seiner Nachbarn, die er zu unterwandern, teilweise sogar â wie die Republik Tschad â zu annektieren suchte. Der Beduinensohn aus Sirte sah sich als Imperator einer permanenten Revolution, erklärte sein »Grünes Buch« und dessen Grundthesen zur Basis allen politischen Denkens und den Islam zur Staatsreligion, die Scharia zur offiziellen Gesetzgebung. Qadhafi gebärdete sich als eifernder Muslim, aber gegenüber den islamischen Fundamentalisten, den Anhängern einer koranischen Theokratie, den Salafisten, wie man heute sagt, ging er auf Distanz, Âbetrachtete sie sogar â insbesondere die El Qaida Osama Bin Ladens â als persönliche Todfeinde. Er stellte sie paradoxerweise als »Knechte des Imperialismus« dar, als Gegner des Fortschritts, des Sozialismus und der arabischen Einheit.
Die europäischen Medien waren anfangs fasziniert von diesem Sohn der Wüste, wenn er auf einem weiÃen Hengst angeritten kam und schwärmende Journalistinnen zum Tee in sein Zelt einlud. Die arabischen Staatschefs hingegen hatten ihn von Anfang an als gefährlichen Gaukler und Querulanten entlarvt. Da Qadhafi sich selbst die
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