Arabiens Stunde der Wahrheit
Rolle eines »Imam« anmaÃte und den Koran sehr eigenwilliginterpretierte, setzte er sich der Empörung der »Rechtgläubigen« aus. Von König Hassan II. von Marokko wurde er sogar als »Abtrünniger« geschmäht. Die politischen und gesellschaftlichen Schachzüge des Gründers der »Jamahiriya« nahmen im Laufe der Zeit so wirre und blutrünstige Formen an, daà der ägyptische Rais Anwar es-Sadat, ein Intimfeind des libyschen Revolutionsführers, die Vermutung aussprach, er sei als Kind vom Kamel gefallen, mit dem Kopf aufgeprallt und habe sich davon nie erholt.
Brüskierung des Vatikans
Meine persönliche Begegnung mit Muammar el-Qadhafi geht auf das Jahr 1974 zurück. Da war dieser HeiÃsporn, der sich weigerte, den Titel eines Staatspräsidenten oder Regierungschefs anzunehmen, erst 34 Jahre alt. Ich war von der libyschen Vertretung in Bonn zu einer christlich-islamischen Konferenz in Tripolis eingeladen worden, die von Qadhafi angeregt und mit dem Vatikan vereinbart worden war. Sogar der italienische Kurienkardinal Sergio Pignedoli, Leiter des Vatikanischen Sekretariats für die nicht-christlichen Religionen, hatte sich auf den Weg nach Libyen gemacht.
Pignedoli war in die Falle gegangen, und Oberst Qadhafi verstand sich auf das Geschäft der Geiselnahme. Die päpstliche Verwaltung und der libysche Staatschef hatten vereinbart, einen Dialog zwischen Muselmanen und Christen zu führen. Die beiden monotheistischen Religionen sollten einander näherkommen, sich auf ihre gemeinsamen Ursprünge besinnen, Front machen gegen eine Welt der Gottlosigkeit, die sich im Osten dem »wissenschaftlichen Materialismus« marxistischer Obedienz, im Westen der Verehrung des Goldenen Kalbes und der permissiven Konsumgesellschaft ergeben hatte. Politische Hintergedanken waren auf beiden Seiten vorhanden. Der Araber suchte in Rom Unterstützung für seinePalästina-Politik und seinen militanten Antizionismus. Die katholische Kirche wollte Qadhafi für eine gröÃere Toleranz gegenüber den christlichen Minderheiten im Orient gewinnen und hatte vor allem das Ãberleben der mit Rom unierten Christen des Libanon im Auge.
Im Vatikan hatte man ursprünglich an vertrauliche Kontakte, an ein diskretes Gremium von Theologen gedacht. Doch die Rechnung war ohne den libyschen Wirt gemacht worden. Zur Bestürzung des Kardinals hatte Qadhafi die islamisch-christliche Konferenz zu einer Mammut-Veranstaltung aufgeblasen. Das Theater El Massara in Tripolis, ein moderner Betonklotz von betrüblicher Einfallslosigkeit, lieh dem Unternehmen seinen Rahmen. Die beiden Delegationen sollten wie Akteure auf der Bühne Platz nehmen. Als Zuschauer und Augenzeugen waren rund tausend Gäste aus aller Welt zusammengetrommelt worden. Neben Kohorten von Journalisten, Diplomaten und Klerikern waren auch alle nur denkbaren Vertreter umstürzlerischer und verschwörerischer Bewegungen in Tripolis zusammengeströmt. Vier Tage waren für das Treffen angesetzt, und schon in den ersten Stunden kam es zum offenen Disput. Das äuÃere Bild, der Habitus der Delegationen, war aufschluÃreich. Die muslimischen »Ulama« bewegten sich in ihrer wallenden traditionellen Tracht. Unter den weiÃen Turbanen blickten ihre bärtigen Gesichter mit dem Ausdruck triumphierender Ãberlegenheit auf die christliche Gegenpartei am getrennten Konferenztisch zu ihrer Linken. Die Muslime hatten ein Jahrhundert kolonialer Unterwerfung wettzumachen, und das Erdöl, das in ihren öden Siedlungsräumen so reichlich sprudelte, war ein unumstöÃliches Zeichen für das Wohlwollen Allahs, das wieder auf seinen Gläubigen ruhte.
Demgegenüber gaben die Repräsentanten des Vatikans ein schwaches Bild ab. Kardinal Pignedoli, ohnehin kleingewachsen, schien sich noch mehr zu ducken und war auf eine Taktik permanenter Entschuldigung eingestellt. Was nützte es der katholischen Delegation, daà sie in ihren Reihen mit den Dominikanern aus Kairo über die profundesten Koran-Interpreten verfügte, bei denengelegentlich sogar die Schriftgelehrten der islamischen Universität El Azhar Anregungen suchten. Die Mehrzahl der römischen Geistlichen war im schlichten Clergyman-Anzug erschienen, und die Auswirkungen des Zweiten Vatikanischen Konzils hatten ihr festgefügtes dogmatisches Gebäude in mehr als einem Punkt erschüttert. Den Muslimen fiel es
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