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Arabiens Stunde der Wahrheit

Arabiens Stunde der Wahrheit

Titel: Arabiens Stunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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Solidarität. Was nun die wirkliche Tauglichkeit der Armee von Qatar betrifft, so erwies sie sich als absolut unbrauchbar.
    Eine präzise Analyse des Einsatzes in Libyen, der der Europäischen Union die eigene Unzulänglichkeit, ihre mangelnde Kapazität zur Selbstverteidigung vor Augen führen würde, ist heute noch nicht erstellt. Die militärische Entscheidung kam nicht aus dem Osten, aus der Cyrenaika, wo die Rebellen im Feuer der Qadhafi-treuen Stämme zwischen Ras Lanuf und Sirte steckenblieben, sondern aus dem Westen, aus den Nafusa-Bergen, unweit der tunesischen Grenze. Die dort lebenden Berber, die dem arabischen Triumphalismus Qadhafis stets mißtraut hatten, bildeten mit Hilfe ausländischer Instrukteure die Kerntruppe des Aufstandes. Wider Erwarten kam es nicht zu verzweifelten und verlustreichen Häuserkämpfen, als die Berber – im Verbund mit anderen Kataeb – in das Zentrum der Kapitale und bis zum »Grünen Platz« vordrangen, auf dem Qadhafi sich Jahrzehnte lang akklamieren ließ. In der Millionenmetropole flackerten sporadische Gefechte auf. Von der Bevölkerung wurden die neuen Herren erleichtert, aber ohne übermäßige Begeisterung begrüßt.
    Schon zogen sich die Berber, die nur einen kleinen Bruchteil der libyschen Bevölkerung ausmachen, mit einer Vielzahl eroberter Waffen in die Nafusa-Berge zurück. Von den Städtern, die in dem Verwaltungs- und Überwachungsnetz der von Qadhafi geschaffenenNachbarschafts- und Revolutionskomitees recht und schlecht eine Normalisierung des täglichen Lebens anstrebten, hatten die Berber keine hohe Meinung. Die Tripolitaner seien Schlangen, behaupteten sie. Sie selbst hätten sechs Monate in den Bergen gekämpft, während die Städter ein bequemes Leben führten. Diese Amateurkrieger seien so hinterlistig, daß sie stets in einer Tasche ihrer Kleidung eine grüne Qadhafi-Fahne, in der anderen die rot-schwarz-grüne Senussi-Flagge der Aufständischen bereithielten.
    Es macht wenig Sinn, eine Perspektive für die künftige Regierungsgestaltung Libyens zu entwerfen. Der Vorsitzende des Nationalen Übergangsrats, Mustafa Abdel Jalil, ist frommer Muslim, wie das dunkle Gebetsmal auf der Stirn beweist. Seine westlichen Gesprächspartner bezeichnen ihn als bescheidenen, vernünftigen Unterhändler. Aber unter Qadhafi war er Justizminister, und sein Rücktritt von diesem Amt erfolgte erst, nachdem er dem Todesurteil für die bulgarischen Krankenschwestern zugestimmt hatte, die nur unter ausländischem Druck ihre Freiheit wiedererlangten. Die Amerikaner, die wohl bei der Konstituierung dieser provisorischen, selbsternannten Scheinregierung Pate standen, wollten die fatalen Fehlentscheidungen vermeiden, die ihnen nach der Einnahme von Bagdad unterlaufen waren und die Mesopotamien in Chaos und Bürgerkrieg stürzten. Im Irak war die alles beherrschende und verwaltende Baath-Partei Saddam Husseins aufgelöst und ihre Mitglieder aus sämtlichen öffentlichen Ämtern entfernt worden. Viel administrative Kompetenz blieb danach nicht übrig. Noch törichter war die radikale Abschaffung der irakischen Armee und Polizei, so daß die Zunahme der Kriminalität im Innern nicht verhindert und die Abschirmung der Grenzen illusorisch wurde.
    In Libyen konnte man auf die erfahrenen Männer des »ancien régime« noch weniger verzichten. So fanden sich in dem »Transition Council« von Bengasi, der seine Übersiedlung in die Hauptstadt Tripolis aus guten Gründen verzögerte, frühere Säulen der Jamahiriya neben redlichen Opponenten, die der Willkür des Despoten durch Flucht ins Ausland entkommen waren oder im Untergrund einen politischen Umbruch vorbereitet hatten. Daß dieses Sammelsuriumsich auf Dauer behaupten kann, wo die Mehrzahl dieser überwiegend aus der Cyrenaika stammenden Mannschaft ohnehin vom Volk mit Skepsis betrachtet wird, ist höchst unwahrscheinlich. Es war ein erschreckendes Signal, als im Sommer 2011 der provisorische Verteidigungsbeauftragte und Stabschef General Abdul Fatah Yunes, der die unterschiedlichen Milizen unter sein zentrales Kommando bringen sollte, in seinem Auto erschossen wurde. Da Yunes schon unter Qadhafi das militärische Oberkommando ausübte, kamen die unterschiedlichsten Verdächtigungen auf. Man vermutete die Rache von hartgesottenen Islamisten, die hier wie anderenorts im

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