Arabiens Stunde der Wahrheit
zu behalten und deren Gefangene brüderlich zu behandeln. Das ist wohl nur selten der Fall gewesen. Auf beiden Seiten kam es zu abscheulichen Grausamkeiten. Das war auch nicht Âanders zu erwarten. Die Zahl der Kriegsopfer wird bereits auf dreiÃigtausend geschätzt. Am schlimmsten waren die ÂSchwarzafriÂkaner dran, die im Verdacht standen, als Söldner Qadhafis, als eine Art moderne Mameluken, das Zwangsregime des »groÃen Bruders« verteidigt zu haben, jene zivilen Fremdarbeiter aus der Sahel-Zone, die zu Hunderttausenden in Libyen Arbeit gesucht hatten und nur selten beweisen konnten, daà sie nicht am Kampf beteiligt waren. Die zahlreichen Tunesier, die vor allem in Tripolis relativ gehobene Jobs ausübten, waren als erste in ihre Heimat zurückgekehrt. Viel schlimmer war es um die Ãgypter bestellt, die sich in Massen aufgrund der im Niltal grassierenden Arbeitslosigkeit in Libyen verdingt hatten und sich nun an der Grenze stauten und schikaniert wurden. Die Europäer wurden durch ihre Regierungen evakuiert. Am eindrucksvollsten war die RepatriierungsÂaktion der 35000 Chinesen, die in Rekordzeit aus der Kriegszone ausgeflogen oder nach Zypern verschifft wurden.
Wird Libyen zu einer geordneten, moderaten Regierungsform finden? Werden die im »Transition Council« vertretenen Intellektuellensich behaupten können gegen die »Freiheitskämpfer«, die sich im feindlichen Feuer bewährten? Werden die Verfechter einer »Zivilgesellschaft«, was immer damit gemeint sein mag, sich behaupten können gegen die im Volk tief verwurzelte islamische Religiosität? Wird es zu Fehden unter den Stämmen, zum AuseinÂanderdriften von Tripolitanien und Cyrenaika kommen? Wird ein Bürgerkrieg ausbrechen, oder könnte sogar eine Art somalische Anarchie um sich greifen, wie manche Pessimisten befürchten? Die fromme Antwort lautet: »Allah wahduhu yaârif â Gott allein weià es.«
Qadhafi hat seine Getreuen über den Rundfunk zum Partisanenkrieg aufgerufen. Seine Hochburg Sirte hat zum Zeitpunkt dieser Niederschrift noch nicht kapituliert. Ganz eindeutig wird der Âgestürzte Despot seinen Widerstand, soweit er dazu in der Lage ist, nach Süden verlagern in den Fezzan und die Umgebung von Kufra. In der Gegend von Sebha hofft er offenbar beim Megraha-Stamm Unterstützung zu finden. Einen Teil seiner Familie â seine Frau, seine Tochter Aischa zumal, die jenseits der Grenze eine Tochter gebar, hat er in einem Konvoi gepanzerter Limousinen über Ghadames ausreisen lassen, aber die Algerier haben bereits versichert, daà sie Qadhafi selbst oder seinem Sohn Seif el-Islam kein Asyl gewähren würden. Vorübergehend war offenbar Burkina Faso dazu bereit, obwohl die dortigen Machthaber den Ãbergangsrat von Bengasi anerkannt hatten. Wird Muammar el-Qadhafi wie der irakische Despot Saddam Hussein nach neunmonatiger Flucht von seinen Verfolgern in einem Versteck aufgestöbert und dem Henker ausgeliefert werden? Oder wird er in einem letzten verzweifelten Aufbäumen den Heldentod als Schahid suchen? Alles deutet darauf hin, daà die Treibjagd auf den gestürzten Despoten keine zehn Jahre in Anspruch nehmen wird, wie das bei Osama Bin Laden der Fall war.
Die libyschen Wirren werden unweigerlich auf die Nachbarstaaten des Sahel übergreifen. Dort verschärfen sich die ethnischen und religiösen Spannungen. Die Sahara erscheint längst nicht mehr als unüberwindliche Barriere, die das weiÃe vom schwarzen Afrika trennt,sondern wird wie zur Zeit der von Ibn Battuta geschilderten Sklavenkarawanen zum rege benutzten Durchgangsgebiet. Ein mächtiger gepanzerter Konvoi der libyschen Regierungstruppen sei, aus Sebha kommend, in der Republik Niger eingetroffen, wurde berichtet und prompt dementiert. Angeblich habe der mit Qadhafi befreundete Diktator von Burkina Faso, Blaise Campaoré, der im »revolutionären Weltzentrum« Libyens geschult worden war, dem flüchtigen Despoten Asyl angeboten. Aber auch in Ouagadougou ist man auf Distanz gegangen. Die Grenzen, die die europäischen Kolonialmächte vor hundert Jahren im Sand und im mageren Busch des Sahel zogen, haben eine groÃe Durchlässigkeit gewonnen, werden zumal von den Partisanen der »El Qaida des Islamischen Maghreb« gar nicht mehr zur Kenntnis genommen. Voller Sorge blickt der ehemalige Soudan français auf die nach Süden
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