Arabiens Stunde der Wahrheit
im Jahr 1977eine gründliche Umschichtung der Zedernrepublik eingeleitet hatte.
Am Anfang stand die Erlösergestalt des Imam Musa Sadr, eines Lieblingsjüngers des Ayatollah Khomeini. Ganz unerwartet, in den frühen siebziger Jahren, war dieser grünäugige Hüne bei der unterdrückten Schiitengemeinde aufgetaucht, die seit osmanischen Zeiten im Südlibanon und in der Bekaa-Ebene als Pächter und Tagelöhner gieriger Feudalherren ein erbärmliches Dasein führte. Musa Sadr predigte soziale Gerechtigkeit für die »Mahrumin«, diese Benachteiligten und Ausgeschlossenen der opulenten Gesellschaft in der Zedernrepublik. Im Namen der »Partei Alis« forderte er Aufstiegschancen, politische Mitsprache und Solidarität für die »Enterbten und Entrechteten«. Musa Sadr löste ein Erdbeben aus, denn die Schiiten bildeten bereits ein Drittel der libanesischen Gesamtbevölkerung. Heute dürften sie die Hälfte ausmachen.
Der Schüler Khomeinis sammelte seine Glaubensbrüder in der Kampforganisation Amal, ein Akronym, das sich auch mit »Hoffnung« übersetzen läÃt. Die Bedeutung dieses begabten Redners und Politikers ging weit über die eines lokalen »Erweckers« hinaus. Im Umkreis von Amal fanden die islamischen Revolutionäre des Iran zusammen, übten sich in den Schluchten des Südlibanon in Partisanenkampf und Agitation. Damals bereitete sich die religiöse Umsturzbewegung Persiens in aller Diskretion vor, und aus dieser Zeit rührt jene enge, brüderliche Verbindung zwischen den Schiiten des Iran und des Libanon, jene sakrosankte Verpflichtung zur gegenseitigen Hilfe, die durch gemeinsam vergossenes Blut besiegelt war. Diese tiefempfundene Schicksalsgemeinschaft sollten all jene Vermittler vor Augen haben, die eines Tages â in der Perspektive einer hypothetischen Friedensregelung â den gordischen Knoten in Nahost ohne Konsultation und Mitwirkung der Teheraner Mullahkratie entwirren möchten.
Im Sommer 1978 reiste Imam Musa Sadr, der inzwischen internationale Statur gewonnen hatte, auf Einladung von Oberst QaÂdhafi nach Libyen. Von dort ist er nie zurückgekehrt. Welchem Komplott er zum Opfer gefallen ist, wurde nie geklärt. Nicht einmal seinTod wurde bestätigt. Das Gerücht hält sich hartnäckig, daà die PLO die Beseitigung Musa Sadrs gefordert habe, weil dessen wachsende Autorität die wirren palästinensischen Aktivitäten im Südlibanon, damals noch als »Fatah-Land« bezeichnet, zu lähmen drohte. Die Trauer um diesen Verlust dauert bis heute an. Die Erben Khomeinis haben dem libyschen Staatschef Qadhafi seine Untat niemals verziehen, und die meisten Palästinenser genieÃen einen zweifelhaften Ruf in Teheran. Alte Feindschaften leben wieder auf. Wenn der Libanon beim Aufstand der libyschen Rebellen gegen Oberst Qadhafi im Frühjahr 2011 besonders dringlich auf den Sturz und die Beseitigung des Diktators von Tripolis gedrängt hat, ist das zweifellos als Racheakt für die heimtückische Ermordung des Imam Musa Sadr zu werten.
Die Organisation Amal ist seit dem Verschwinden Musa Sadrs seltsame Wege gegangen. Die syrischen Geheimdienste, die schon zur Zeit des libanesischen Bürgerkrieges von General Kanaan mit starker Hand koordiniert wurden, nahmen sich der schiitischen Fraktion an und gängelten sie in ihrem Sinne. Zweifellos kam dieser Opportunismus den schiitischen Gemeinden des Südlibanon und in der Bekaa zugute, deren Armut zum Himmel schrie. Der weiterhin gepflegte Musa-Sadr-Kult verschaffte Amal den Ruf schiitischer Rechtgläubigkeit. In Wirklichkeit wurde diese Partei zu einem Bestandteil der chaotischen politischen Manövriermasse in der Zedernrepublik. Ihr Parteichef Nabih Berri avancierte zum Parlamentspräsidenten. Er geriet durch persönliche Bereicherung und durch Nepotismus ins Zwielicht.
Die strengen, glühenden Anhänger der »Schiat Ali« hingegen formierten sich inzwischen in einem anderen, glaubensstarken und opferbereiten Männerbund. Unter der Anleitung ihres geistlichen Mentors, Scheikh Abbas Mussawi, kristallisierte sich ihr harter Kern in der »Hizbullah«. Die »Partei Gottes« erschreckte zunächst durch ihr unerbittliches Auftreten im libanesischen Machtkampf, durch ihre antiamerikanischen Exzesse, die mit politischem Mord und willkürlichen Geiselnahmen einhergingen. Die gezielte Grausamkeit
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