Arabiens Stunde der Wahrheit
brachte ihr den Ruf ruchlosen Terrorismus ein. Erst ganz allmählichist es diesen finsteren Partisanen gelungen, das negative Image abzustreifen und sich in das parlamentarische Leben des Libanon zu integrieren. Die Hizbullah verfügt weiterhin über die einzige Bürgerkriegsmiliz, die nicht entwaffnet wurde, weil sie den Kampf gegen Israel in dem umstrittenen Grenzstreifen von Merjayoun und Djezin auf sich nahm. In dieser Rolle als Vaterlandsverteidiger und Mujahidin haben sie sogar beachtliches Ansehen bei den anderen Konfessionsgruppen gewonnen, wenn sie dem durchschnittlichen Levantiner auch heimliches Entsetzen einflöÃen.
Wie es mir gelungen ist, im Herbst 1997 direkten Kontakt zur Führung der Hizbullah aufzunehmen, will ich hier nicht schildern. In einem ramponierten Mercedes älteren Datums wurde ich zum südlichen Hafen Tyros oder Sur gesteuert. Vor einer verwahrlosten Ansammlung mehrstöckiger Betonhäuser kamen wir zum Stehen. Ein düsterer Eingang nahm uns auf, und der ächzende Fahrstuhl transportierte uns in die zweite Etage. Dort öffnete sich eine anonyme Wohnungstür. Mit einem Schlag befanden wir uns in einer anderen, lautlosen Welt. Als luxuriös konnte man den groÃen, rechteckigen Raum nicht bezeichnen, dessen Fenster verdunkelt und vermutlich durch Bleiplatten geschützt waren. An den Wänden hingen vertraute Gesichter: Ayatollah Ruhollah Khomeini natürlich, der groÃe Inspirator, und neben ihm Ali Khamenei, sein unbedeutender Nachfolger als geistlicher Führer des heutigen Iran. Als libanesische Zugabe war Scheikh Abbas Mussawi unter schwarzem Turban porträtiert, jener Generalsekretär der Hizbullah, der mit mehreren Familienangehörigen von isrealischen Kampfflugzeugen in seinem Auto durch Bordwaffenbeschuà getötet wurde. Eine eindrucksvolle Gestalt trat auf mich zu. Scheikh Nabil Qaouq empfing mich mit groÃer Freundlichkeit. Ich war sofort fasziniert von seinen blauen Augen. Qaouq war ein recht junger Mann, aber er strahlte bereits die Würde und das SelbstbewuÃtsein eines Prälaten aus. Die schwarz-weiÃe Mullah-Tracht erinnerte mich an die Mönchskutten der Dominikaner, und das blasse, von einem schwarzen Bart eingerahmte Gesicht hätte einem GroÃinquisitor gut Âangestanden.
»Siekommen an einem besonders günstigen, an einem gesegneten Tag«, sagte er in gepflegtem Hocharabisch. »Unsere Kämpfer haben heute einen beachtlichen Erfolg mit Allahs Hilfe davongetragen. In dem von den Zionisten besetzten libanesischen Südstreifen, nur zweihundert Meter von der Nordgrenze Israels entfernt, haben wir unsere Sprengladungen gezündet, als der Feind in Markaba eine Lagebesprechung abhielt. Wir erfahren soeben, daà fünf unserer Gegner getötet und mindestens neun verletzt worden sind.« Die Exaktheit dieser Meldung sollte ich am folgenden Tag in den internationalen Medien bestätigt finden. »Wir haben groÃe Fortschritte gemacht«, rühmte sich der »Dominikaner«. »Wir fügen den Israeli nicht nur Nadelstiche, sondern schmerzliche Verluste bei, wie Ihnen die Lektüre der amerikanischen Zeitungen bestätigen kann. Wir haben die im Durchschnitt fünfzehn Kilometer breite Okkupationszone zwischen Litani-Fluà und Nordgaliläa zu einem für die jüdischen Streitkräfte höchst gefährlichen Terrain gemacht. Noch heute morgen haben wir bewiesen, daà wir überall zuschlagen können. Auf der anderen Seite ist man nervös geworden. Sie haben vielleicht vernommen, daà wir unsere Sprengladungen perfekt zu tarnen verstehen. Neuerdings beherrschen wir auch die Technik der Fernzündung, und alle Versuche der Israeli, uns durch Störfunk lahmzulegen, sind gescheitert.«
Ich bildete mir bei allem zur Schau getragenen Wohlwollen nicht ein, daà mir in dieser lila-weiÃen Kommandozentrale irgendein Geheimnis anvertraut würde. Ãber den Friedensprozeà im Heiligen Land hatte der junge »GroÃinquisitor« sich bereits kategorisch geäuÃert. »Für uns gibt es keinen Unterschied zwischen Peres und Netanjahu«, sagte er, »die Divergenzen sind allenfalls taktischer Natur. Die Strategie ist die gleiche.« Ob es mir wohl vergönnt sei, den Schauplatz des ZusammenstoÃes mit den Israeli, der sich am Morgen abgespielt hatte, zu besichtigen, fragte ich ohne groÃe Hoffnung auf Zustimmung. Doch Scheikh Nabil zögerte
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