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Arabiens Stunde der Wahrheit

Arabiens Stunde der Wahrheit

Titel: Arabiens Stunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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eine abschreckende Wirkung auf die amerikanische Planung aus.
    Â»Wie haben Sie es denn fertiggebracht, der vorzüglichen israelischen Armee standzuhalten und sie am Ende zu einem von der UNO garantierten Kompromiß auf der Basis des ›Status quo ante‹ zurückzudrängen?« hatte ich Scheikh Nabil Qaouq gefragt. Mit einem Lächeln antwortete er, daß er natürlich keine militärischen Geheimnissepreisgeben würde. Was jedoch den unmittelbaren infanteristischen Zusammenprall betraf, so hatten die Todesfreiwilligen der Hizbullah die Weisung erhalten, so nah am Feind zu kleben, daß sie von dem Gegner kaum zu unterscheiden seien. Auf diese Weise würden der massive Artilleriebeschuß und der Bombenhagel von Zahal zwangsläufig schwere Opfer in den eigenen Reihen durch sogenanntes friendly fire fordern. Ähnlich, so hatten mir nordvietnamesische Offiziere nach der Eroberung Saigons ­erklärt, hatten sie beim Zusammenstoß mit der U.S. Army ihre Laufgräben und Stollen bis in die unmittelbare Nachbarschaft der amerikanischen Stellungen vorgetrieben. Bei den verlustreichen Kämpfen bei Dakto im Länderdreieck von Vietnam, Laos und Kambodscha – am sogenannten Hamburger Hill – hatte ich 1972 an Ort und Stelle feststellen können, daß die ungeheuerliche Explosivkraft der U.S. Air Force oft einer Vielzahl eigener Soldaten zum Verhängnis wurde.
    Auf der Rückfahrt nach Saida aß ich am alten phönizischen ­Hafen in einem gepflegten arabischen Restaurant zu Abend. Dort hatten auch die Kreuzritter eine Trutzburg hinterlassen. Zu dem vorzüglichen Fisch bestellte ich eine Flasche libanesischen Ksara-Wein. Dabei kam es zu einem Mißverständnis mit meinem Begleiter und Vertrauensmann der Hizbullah. »Bitte fassen Sie es nicht als Unhöflichkeit auf«, sagte er verlegen, »und ich verstehe, daß Sie als Christ Alkohol nicht verschmähen. Aber ich selbst werde, wenn Sie es mir nachsehen, an einem getrennten Tisch nebenan Platz nehmen, wo kein Wein serviert wird. Haben Sie bitte Verständnis für unsere Vorschriften. Sie sind nicht Ausdruck religiöser Geringschätzung, und ich will Ihnen gestehen, daß bei uns Schiiten des Libanon die Christen höheres Ansehen genießen als die muslimischen Sunniten, die auf uns seit jeher mit Haß und Verachtung herabblicken.«
    Ganz verbohrt konnte übrigens die Hizbullah nicht sein, denn bei unserer Fahrt nach Tyros hatte ich festgestellt, daß alle christlichen Kirchen, die bei dem Flächenbombardement der Israeli zerstört worden waren, mit erheblichem Aufwand wieder aufgebaut waren.In den maronitischen Dörfern dieses Grenzstreifens hatte man sogar den etwas kitschigen Madonnen- und Heiligenstatuen wieder ihren alten Platz eingeräumt.
    *
    Was hat die Erstarkung der Hizbullah mit dem »Arabischen Frühling« zu tun? Im Libanon hatten die anti-schiitischen Sunniten und ein beachtlicher Teil des christlichen Bürgertums schon im Jahr 2005 versucht, eine sogenannte Zedern-Revolution durchzuführen, die den amerikanischen Vorstellungen entsprochen hätte. Es kamen wirklich gewaltige Menschenmengen zusammen auf dem Platz der Märtyrer – früher »El Borj« oder »Place des Canons« genannt – und schwenkten unzählige Fahnen mit der Zeder auf rot-weißem Grund. Die Unterstützung der USA und Saudi-Arabiens war ihnen gewiß. Aber diese pro-westlichen Kräfte hatten die Autorität des Scheikh Nasrallah, des Führers der Hizbullah, und die Entschlußkraft seiner gottesfürchtigen Anhänger unterschätzt. Zudem waren viele Christen die Clan-Herrschaft ihrer reichen Oligarchie leid. Gestützt auf die neue Formation des General Aoun, hatten sie sich damit abgefunden, gemeinsame Sache mit der »Partei Allahs« zu machen. Die Kraftprobe ging zugunsten der Schiiten aus. Ministerpräsident Saad Hariri, Sohn des ermordeten Milliardärs Rafik Hariri, der aufs engste mit Saudi-Arabien verbunden war, mußte dem nachgiebigen Politiker Najib Mikati weichen, der sich auf die parlamentarische Abstimmung mit den schiitischen Parteien einließ.
    In den letzten Monaten der Präsidentschaft George W. Bushs, als die Hardliner in Washington die israelische Regierung Netanjahu fast bedingungslos unterstützten, wurde allen Ernstes mit der Möglichkeit gerechnet, daß die Verbündeten in Jerusalem grünes

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