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Arabiens Stunde der Wahrheit

Arabiens Stunde der Wahrheit

Titel: Arabiens Stunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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Licht erhielten, um zum »Präventivschlag« gegen die iranische Atomindustrie und eventuell die persischen Ölhäfen auszuholen. »All options are on the table«, hatte Außenministerin Condoleezza Rice mehrfach versichert.
    Warumwollte Israel mit allen Mitteln die Islamische Republik Iran zum Ziel einer Vernichtungsaktion machen? Die Experten des Mossad wußten doch, daß im Fall einer solchen Attacke mit unkalkulierbaren Folgen zu rechnen wäre, daß die iranischen Pasdaran mit ihren Schnellbooten in der Lage wären, den gesamten Schiffsverkehr mit Petroleum im Persischen Golf – vierzig Prozent des Weltaufkommens – lahmzulegen. Zudem hätte bekannt sein sollen, daß bei den schiitischen Mullahs Persiens weniger Haß gegen die Zionisten bestand als bei den meisten arabisch-sunnitischen Ulama. An einen iranischen Atomschlag gegen den Judenstaat war gar nicht zu denken. Er wäre einem kollektiven Selbstmord gleichgekommen. Was zudem den exaltierten iranischen Präsidenten Ahmadinejad betrifft, so stand er im Begriff, das Wohlwollen der höchsten Instanz, des geistlichen Führers Ayatollah Ali Khamenei, zu verlieren. Die iranischen Revolutionswächter wären zudem in der Lage, auf die Vernichtung der industriellen Einrichtungen ihres Landes mit hochentwickelten Lenkwaffen – auch ohne jede nukleare Komponente – gegen den schmalen Landstreifen zwischen Tel Aviv und Haifa zu reagieren.
    Aber da war die Achillesferse der israelischen Verteidigung, eine Schwachstelle der militärischen Überlegenheit Zahals, sichtbar geworden, seit sich im Südlibanon die geographisch begrenzte, aber in ihrer Kampfkraft formidable Bastion der Hizbullah konstituiert hatte und das ganze israelische Staatsgebiet unter Beschuß nehmen konnte. Diese vorgeschobene Position der libanesischen »Partei Gottes« erlaubte es der schiitischen Expansion, die bereits im Irak das Übergewicht gewonnen hatte, bis zum Ufer des Mittelmeers und in die unmittelbare Nachbarschaft Israels vorzurücken. Scheikh Nasrallah genoß seit seinem Waffenerfolg im Jahr 2006 selbst bei vielen sunnitischen Arabern ein größeres Prestige als der zu ständiger Flucht und zur Asylsuche verurteilte Osama Bin Laden.
    Der Verweis auf die libanesischen Wirren erscheint unentbehrlich im Hinblick auf die blutige Revolte, die seit Monaten im benachbarten und eng verwandten Syrien ausgebrochen ist. Während in dem kleinen Königreich Jordanien bislang nur sporadische Protestforderungender Jugend nach Meinungsfreiheit und kontrollierten Wahlen aufgeflackert sind, wurde Damaskus zum Testfall in der Auseinandersetzung zwischen Saudi-Arabien und der Islamischen Republik Iran um die Vorherrschaft am Persischen Golf. Zu etwa siebzig Prozent setzt sich die Bevölkerung der haschemitischen Monarchie Abdullahs II. aus palästinensischen Flüchtlingen und deren Nachkommen zusammen, und auch in Amman warten die gut organisierten Muslimbrüder auf ihre Stunde.
    In der Arabischen Republik Syrien hingegen geht es um mehr, denn über deren Territorium führen die unentbehrlichen Verbindungs- und Versorgungswege der libanesischen Schiiten mit ihren Glaubensbrüdern in Irak und Iran. Ob Präsident Bashar el-Assad sich gegen die interne Revolte behaupten kann oder ob am Ende Armee und Sicherheitsdienste ihre systematische Repression der sunnitischen Bevölkerungsmehrheit einstellen müssen, ist zum Zeitpunkt dieser Niederschrift noch nicht entschieden.
    Der Westen hat sich über das brutale Vorgehen der syrischen Streitkräfte gegen unbewaffnete Zivilisten zu Recht empört, aber gerade die Amerikaner legten zu Beginn eine Zurückhaltung an den Tag, die man bei ihnen nicht gewohnt war. Der Sturz der Diktatur von Damaskus müßte dem amerikanischen Bestreben, den Iran in die Isolation zu zwingen, nur gelegen kommen. Aber da kommt die Frage auf, welche Kräfte nach dem Sturz des Assad-Clans am Orontes die Macht an sich reißen würden. Ähnliche Überlegungen stellen sogar die Israeli an, die sich zwar mit Syrien immer noch im Kriegszustand befinden, bei der regierenden Baath-Partei in ­Damaskus jedoch davon ausgehen können, daß an der Demarka­tionslinie auf den Golanhöhen, die nach dem Waffenstillstand des Yom-Kippur-Krieges gezogen wurde und nur von einem spärlichen Kontingent der Vereinten Nationen bewacht wird, kein Übergriff und keine

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