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Arabiens Stunde der Wahrheit

Arabiens Stunde der Wahrheit

Titel: Arabiens Stunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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Verkehr gerichtet. Blau bemalte Schützenpanzer stehen einsatzbereit. Mein Ziel ist die im ganzen Islam hoch­angesehene islamische Universität Abu Hanifa, mit deren Rek­tor Doktor Scheikh Hussein el-Kubaisy ein Gespräch vereinbart wurde. Dieser Lehrstätte kommt eine besondere Bedeutung zu, vertritt sie doch die älteste Rechtsschule oder »Madhhab« des ­Islam, die bereits im achten Jahrhundert von dem Korangelehrten Abu Hanifa gegründet wurde. Der Zugang zu dem ockerfarbenen Gebäude wird uns zunächst durch eine Rotte stumpfsinniger Wächter verwehrt, bis JoJo sich mit verblüffender Autorität einschaltet, das Personal anschreit, eine Telefonverbindung verlangt und den Zugang zum Rektorat ermöglicht. Zum ersten Mal hat sie einen leichten, durchsichtigen Schleier auf ihr Haar gelegt.
    Die französischen Experten spotteten einst darüber, daß ein orien­talischer Bart stets befähigt sei, Besucher aus dem Abendland tief zu beeindrucken. Bei den zwei Patriarchen, denen wir in der Abu Hanifa-Universität gegenübersitzen und die uns ihr Wohlwollen bekunden, kann ich mich – auch wenn ich um einiges älter bin als die beiden – dieser Ehrfurcht nicht ganz entziehen. Der Rektor empfängtuns in Begleitung des Imams der Moschee. Die sunnitische Gemeinde des Irak ist zwangsläufig auf die Unterstützung Saudi-Arabiens angewiesen, das in seiner Gegnerschaft zur Islamischen Republik Iran eine schiitische Machtausübung im Irak nach Kräften verhindern möchte. El-Kubaisy spricht nur sehr zurückhaltend über die Zwangslage, in der sich seine hanefitische Rechtsschule, die bei weitem die bedeutendste im ganzen Dar-ul-Islam ist, in Mesopotamien befindet.
    Die der saudischen Dynastie ergebenen Ulama der Wahhabiten lassen von den vier sunnitischen Rechtsschulen  – Hanefiten, Schafeiten, Malekiten und Hanbaliten – nämlich nur letztere gelten. Die Gefolgsleute des Ibn Hanbal zeichnen sich durch krasse Intoleranz, bornierte Schriftauslegung, durch ihre Berufung auf den frühen Fanatiker Ibn Taimiya und den Wüstenprediger Abdul Wahhab aus, der ein Zerrbild der Offenbarung Mohammeds entwarf. So sehr hatten die Wahhabiten sich von der relativen Toleranz der Usprungslehre entfernt, daß der osmanische Sultan und Kalif im neunzehnten Jahrhundert seinen ägyptischen Statthalter aufforderte, mit seinen regulären Truppen gegen diese aufsässigen und wirrköpfigen Beduinen in ihrer trostlosen Wüste des Nedjd militärisch vorzugehen. Die Wahhabiten wurden zwar vorübergehend besiegt, doch sollten sie im zwanzigsten Jahrhundert in Verbindung mit dem Stammesfürsten Abdul Aziz Ibn Saud ihre exzessive Scharia-Interpretation dank des Verfügens über die reichsten Erdölvorkommen der Welt unangreifbar, ja unantastbar machen. So bleibt es bis zum heutigen Tag.
    Es besteht kein einfaches Verhältnis zwischen den gemäßigten Hanefiten und den anmaßenden, verstockten Jüngern des Abdul Wahhab. Nur mit großer Vorsicht wird dieses Dilemma in unserem Gespräch berührt. Dafür distanzieren sich der Direktor und der Imam um so heftiger von der sogenannten El Qaida Mesopotamiens, die sich ihnen zufolge – ungeachtet ihrer gelegentlichen Komplizenschaft mit dem saudischen Geheimdienst – als bittere Frucht der amerikanischen Besatzung entwickelt habe. Die Bedeutung der Sufi- oder Derwisch-Orden im Irak wird von den beiden Theologenheruntergespielt. Aber das weiß ich besser, hatte ich doch sogar zu Zeiten Saddam Husseins den exaltierten Dhikr-Übungen der großen Tariqa Qadiriya beigewohnt, die zwischen Senegal und Afghanistan über zahllose »Muriden« verfügt. Unsere fromme Begegnung endet mit den üblichen Segenssprüchen, dem Wunsch nach religiöser Eintracht an Euphrat und Tigris und dem Bekenntnis zu einem einheitlichen irakischen Staat. Jedem von uns wird ein prächtiges Exemplar des »Qur’an el-karim« – des heiligen Koran – überreicht, eine besondere Ehrung für Nicht-Muslime.
    Die weinenden Pilger von Kerbela
    Kerbela, Oktober 2010
    Â»Kerbela in scha’Allah! – Nach Kerbela, so Gott will«, schrien die todesbereiten Freiwilligen, die Pasdaran und Bassiji, während der ersten Phase des irakisch-iranischen Krieges, den Saddam Hussein gegen den Khomeini-Staat im Jahr 1980 vom Zaun brach, als sie unter

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