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Arabiens Stunde der Wahrheit

Arabiens Stunde der Wahrheit

Titel: Arabiens Stunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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Flecken Faschoda verschanzt, während von Norden eine weit überlegene britische Streitmacht unter dem Befehl Lord Kitcheners auf ihren Kanonenbootenvon Khartum aus den Nil aufwärts stampfte. Es herrschten zu jener Zeit noch ritterliche Umgangsformen zwischen den Offizieren der europäischen Mächte, und die Begegnung zwischen Kitchener und Marchand verlief in höflichem Abstand. Aber der Franzose war wild entschlossen, im Kartätschenhagel der Briten und der mit ihnen verbündeten Ägypter unterzugehen, während sich die gallische Öffentlichkeit – durch die Pariser Presse angeheizt – in Verwünschungen des »perfiden Albion« erging und – ungeachtet der seit 1871 tief verwurzelten Revanche-Gelüste gegen Deutschland – in keiner Weise bereit war, die eigene Flagge über Faschoda einzuholen.
    Die erdrückende militärische Überlegenheit Lord Kitcheners vor Ort und die auf die Rückgewinnung Elsaß-Lothringens zentrierte Politik der Dritten Republik haben am Ende schwieriger und erbitterter Verhandlungen zu einem Kompromiß geführt, der die Voraussetzungen zur Entente Cordiale schuf. Ähnlich hatte das »Great Game« zwischen London und Sankt Petersburg nach der Niederlage Rußlands gegen die japanischen Streitkräfte des Tenno in Fernost zu einer Schwerpunktverlagerung des zaristischen Expansionsstrebens in Richtung Westen und zu brisanten Spannungen mit den Mittelmächten geführt. So kamen London und Paris schon 1904 – sechs Jahre nach Faschoda – im Rahmen der Entente Cordiale überein, die britische Machtausübung in Ägypten und am Weißen Nil durch die Anerkennung eines französischen Protektoratsanspruchs im Sultanat Marokko zu kompensieren. In kürzester Frist hatten sich völlig neue Koalitionen auf Kosten der wilhelminischen Hybris formiert. Europa taumelte mit sträflichem Leichtsinn den fürchterlichen, selbstmörderischen Materialschlachten des Ersten Weltkrieges entgegen. Faschoda ist in die Geschichte eingegangen als Episode eines maßlosen imperialen Wahns zweier europäischer Mächte.
    *
    DieAusländer sind selten geworden im Sudan, seit dieser Staat von den USA mit Acht und Bann belegt wurde. Um so mehr fällt mir auf der Strecke nach Kushti ein weißer Minibus auf, in dem eine Schar Chinesen wie in einer Sardinenbüchse zusammengedrängt sitzt. Die ostasiatischen Gesichter sind im braunen Dunst verschwunden, da richte ich an Feisal die Frage, die mir längst auf der Zunge lag. »Wie stark ist denn wirklich der Einfluß Pekings auf die Republik von Khartum?« Der Fahrer zeigt sich – soweit seine Englischkenntnisse das zulassen – mitteilsamer, als ich erwartet hatte. »Wenn Sie etwas länger hier verweilen«, meint er, »werden Sie die Chinesen überall finden, bis in die entferntesten Regionen des Sudd. Auch die Asphaltstraße, über die wir jetzt fahren, haben sie gebaut.« Jeder Sudanese, so versichert er mir, sei sich voll bewußt, daß sein Land in jüngster Vergangenheit zum Zankapfel zwischen Amerika und China geworden sei. Die kleinen, gelben Männer aus dem Reich der Mitte hätten wider alles Erwarten mit großzügigen Infrastruktur-Projekten und dem Erwerb von sechzig Prozent der lokalen Erdölproduktion die allmächtigen Yankees eindeutig überrundet. Den Afrikanern würden die Chinesen zwar imponieren, aber beliebt seien sie nicht.
    Die Ortschaft Kushti erreichen wir über eine Nilbrücke. Die Distrikthauptstadt erstarrt in Schmutz und Abfall. Von dem wirtschaftlichen Fortschritt, den die reichen Petroleumeinnahmen aus dem Bahr el Ghazal dem Sudan bescheren, ist hier wenig zu spüren. Die Menschen sind freundlich um uns bemüht, als wir nach einer Gaststätte Ausschau halten. In arabischer Schrift wird auf eine »Cafeteria« verwiesen, aber auch Feisal ist beim Blick in die Küche der Appetit vergangen. Wir verzichten auf den »Samak«, auf den Flußfisch, den man uns auftischen will, versorgen uns mit einigen Orangen und Bananen und treten die Rückfahrt an.
    Neben dem Rohbau einer gewaltigen Moschee, an der gearbeitet wird, ist mir das stattliche Gotteshaus der christlich-koptischen Gemeinde aufgefallen, über deren Portal der streitbare Drachentöter Sankt Georg in leuchtenden Farben dargestellt ist. In einem Staat, der des vehementen islamistischen

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