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Arabiens Stunde der Wahrheit

Arabiens Stunde der Wahrheit

Titel: Arabiens Stunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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ichauf den Militärattaché, Commandant Briconnier, den ich bei den Fallschirmjägern des Oberst Bigeard in Indochina kennengelernt hatte. Der Major war längst über die Absicht des französischen Oberkommandos informiert. Zu jener Zeit lebten zahlreiche griechische Kaufleute und Kleinunternehmer in ganz Ostafrika und waren bis tief nach Belgisch-Kongo hinein aktiv. Briconnier verwies mich auf eine Khartumer Zeitung in griechischer Sprache, die ihren Lesern mitteilte, die Vorauselemente einer französischen Invasionsarmee – »Oi Galloi«, so hießen die Franzosen bei den Hellenen – seien in den britischen Militärbasen von Zypern eingetroffen.
    Mit diesem Veteranen der Indochina-Armee besichtigten wir auch das Nachtleben der heute überaus puritanischen Hauptstadt. Eine Vielzahl von Bordellen hatten sich – aus welchem Grund auch immer – am Zusammenfluß des Weißen und des Blauen Nils etabliert und boten dem Besucher eine buntgescheckte Auswahl von Freudenmädchen, von hellhäutigen Syrerinnen für gehobene Ansprüche bis zu jenen schwarzen Sudanesinnen eines Wüstenstammes, die von den Kolonialherren aufgrund ihres extravaganten Struwwelpeter-Haarwuchses »Fuzzi-Wuzzi« genannt wurden.
    Unsere Gespräche beim obligaten Whisky kreisten jedoch um ganz andere, extrem seriöse Themen. Unterschätzten die verantwortlichen Politiker in London und Paris nicht die begeisterte Anhängerschaft, über die Gamal Abdel Nasser in Ägypten und im ganzen arabischen Raum verfügte? Spekulierten die Stäbe der Entente-Mächte tatsächlich darauf, daß ein Volksaufstand das Regime der »Freien Offiziere« Ägyptens hinwegfegen würde? Mit einer Eroberung und Besetzung der gigantischen Millionenstadt Kairo durch die relativ bescheidenen franko-britischen Kontingente, die sich unter dem Befehl eines zögerlichen englischen Generals auf Zypern sammelten, konnte nicht ernsthaft gerechnet werden.
    Wie kläglich das Suez-Abenteuer im bevorstehenden Herbst 1956 scheitern würde, konnten wir uns damals noch nicht ausmalen. Zwar sollten die heimlichen israelischen Verbündeten der Entente in einer Blitzoffensive ihrer Panzerkolonnen den Suezkanal aufbreiter Front erreichen, aber die »Paras« des General Massu, die nach ihrer Landung in Port Said nach Süden vorpreschten, wurden noch vor Einnahme der Stadt Ismailia durch eine gebieterische Weisung aus ihrem Hauptquartier zum Stehen gebracht. Eine verblüffende Komplizenschaft zwischen den beiden großen Gegnern des Kalten Krieges, den USA und der Sowjetunion, zwischen Dwight D. Eisenhower und Nikita Chruschtschow, war zustande gekommen, um die europäischen Heißsporne, die mit ihrem törichten Alleingang den ganzen Orient ins Chaos zu stürzen drohten, zur Räson zu bringen. Ultimativ wurden sie zur Räumung des schmalen eroberten Streifens südlich von Port Said gezwungen. Chruschtschow hatte sogar mit Atombomben gedroht.
    Von dieser Stunde der Demütigung an – das konnte Major Briconnier bei unserem Gespräch unter den Ventilatoren des »Grand Hotel« in Khartum nicht ahnen – würde sich eine grundsätzliche geostrategische Umschichtung im ganzen Nahen und Mittleren Orient vollziehen. Auf das rüde Vorgehen des amerikanischen NATO-Verbündeten sollten London und Paris sehr unterschiedlich reagieren. England würde auf seine Machtpositionen »East of Suez« verzichten und ziemlich bedingungslos die Hegemonialrolle der angelsächsischen »Cousins« jenseits des Atlantik akzeptieren. Die Franzosen hingegen fühlten sich durch Washington im Stich gelassen und betrogen. Unter Guy Mollet begann bereits die Planung einer französischen Nuklearwaffe, der »force de frappe«, wie man damals sagte, und eine Distanzierung von der amerikanischen Supermacht, die sich nach der Machtergreifung de Gaulles zum ernsthaften Interessenkonflikt steigerte.
    Es sollte nicht lange dauern, bis Sowjets und Amerikaner zur feindseligen Routine des Ost-West-Konfliktes zurückfanden. Mit bitterer Enttäuschung mußten Präsident Eisenhower und dessen Nachfolger feststellen, daß Kairo sich zusehends auf die Sowjetunion ausrichtete. Moskau lieferte das gewaltige Arsenal an modernen Waffen, derer die in kläglichem Zustand befindliche Armee Ägyptens im Hinblick auf die sich abzeichnende Konfrontation mit Israel dringend

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