Arabiens Stunde der Wahrheit
Kolonialzeit blieben unangetastet. Die Minderheit der koptischen Christen fühlte sich im Nord-Sudan besser geschützt als in gewissen religiösen Spannungsgebieten Ober-Ãgyptens.
In der deutschen Botschaft war ich gewarnt worden. Interessante politische Kontakte seien in Khartum auÃerordentlich schwierig, und hinsichtlich des bereits zugesagten Gesprächs mit Omar el-Bashir solle ich mir keine Illusionen machen. Der geplante Flug in den Süden, in die von der aufständischen »Sudanese Peopleâs LibeÂration Army« belagerte Provinzhauptstadt Juba, werde mit Sicherheit nicht stattfinden. An afrikanische Verhältnisse gewöhnt, übte ich mich in der koranischen Tugend des »sabr«, der standhaften Geduld. Beim einsamen Abendessen stieà ich auf den einzigen nichtarabischen Ausländer, der mit mir im Hilton nächtigte. John Harris war Korrespondent einer amerikanischen Nachrichtenagentur in Kairo und hatte nach langen Demarchen ein Visum für die Republik Sudan erhalten. Der Bürgerkrieg im Süden war wieder aufgeflammt, und die Kontakte meines Kollegen beschränkten sich im wesentlichen auf konspirative Treffen mit Sadiq el-Mahdi, dem Führer der Oppositionspartei »El Umma«. Dieser Politiker war kein Geringerer als der leibhaftige Urenkel des »Mahdi« Ahmed Mohammed, der einst nach Vertreibung der mit GroÃbritannien verbündeten Garnisonen des osmanischen Vizekönigs von Ãgypten ein »Kalifat von Omdurman« in der unmittelbaren Nachbarschaft von Khartum ausgerufen hatte.
Dieser islamische Gottesstaat, der sich immerhin fünfzehn Jahre lang behaupten konnte und erst durch die massive Intervention eines anglo-ägyptischen Expeditionskorps vernichtend geschlagen wurde, gilt bei den Sudanesen als erster erfolgreicher Aufstand eines afrikanischen Landes gegen den europäischen Kolonialismus. DerJihad, der sogar in das christlich-koptische Hochland von Ãthiopien eindrang und die dortige amharische Königsstadt Gondar verwüstete, ist von Karl May recht einseitig und negativ beschrieben worden. Sadiq el-Mahdi, der in den verworrenen Machtkämpfen nach der Unabhängigkeit des Sudan eine beachtliche Rolle spielte und eine Wendung zugunsten des Westens vollzogen hatte, stützte sich auf die starke Bruderschaft oder »Tariqa« der Mahdiya und wurde von den Amerikanern, die in die kolonialen FuÃstapfen ihrer britischen »cousins« zu treten suchten, als verläÃlicher Freund der Atlantischen Allianz geschätzt.
John Harris schilderte in kurzen Zügen die Abfolge der Wirren und Intrigen, die die »Jumhuriya« von Khartum heimgesucht hatten. Neben der Armee, die immer wieder putschte, hatte sogar vorÂübergehend die Kommunistische Partei des Sudan, die über eine starke Gewerkschaftsbewegung bei den Eisenbahnern und bei den Baumwollarbeitern verfügte, an einer Regierung teilgenommen, was in Washington lebhafte Beunruhigung auslöste. Die Diktatur des Oberst Jafar el-Numeiri, die sich anfangs dem panarabischen Nationalismus des ägyptischen Rais Gamal Abdel Nasser angeschlossen hatte, erschien den Amerikanern ebenfalls suspekt, bis dieser Offizier sich auf eine streng islamische Ausrichtung umorientierte und die ganze Republik, inklusive der bislang autonomen Südprovinzen, der rigorosen Befolgung der koranischen Gesetzgebung unterwarf.
An dieser religiösen Ausrichtung sollte auch Omar el-Bashir festhalten, der den Sudan als »Islamische Republik« führte. So verhärteten sich die ständig wechselnden Fronten. Solange Kairo intensiv mit Moskau kooperierte, stützte die amerikanische Regierung das jeweilige Regime von Khartum, auch wenn es die Scharia in aller Strenge anwandte. Nachdem jedoch unter dem Präsidenten Anwar es-Sadat und nach dem Friedensschluà Ãgyptens mit Israel eine herzliche Atmosphäre zu den USA aufkam, wurden dort die Sezessionsbestrebungen der südlichen Niloten durch ein massives CIA-Aufgebot und Lieferungen von Geld und Waffen nachhaltig gestärkt.
DieRepublik von Khartum geriet in den Verdacht terroristischer Komplizenschaft quer durch den ganzen mittleren Orient und wurde auf die Liste der »Schurkenstaaten« gesetzt. Die SeparatiÂsten des Südens genossen nun breite Unterstützung bei der gesamten westlichen Allianz. Khartum habe sich unter Omar el-Bashir zu einem Knotenpunkt islamischer und antiwestlicher Verschwörung
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