Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Arabiens Stunde der Wahrheit

Arabiens Stunde der Wahrheit

Titel: Arabiens Stunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
Vom Netzwerk:
Kitcheners zusammengebrochen. Diese späte Kolonialschlacht war seinerzeit in London als Triumph westlicher Gesittung über orientalisch-afrikanische Barbarei gefeiert worden. Ein epochales Ereignis war dieses Gemetzel nicht. Die »Bürde des weißen Mannes«, die die Briten in ihren roten Uniformen geschultert zu haben glaubten, ist vom Wüstensturm islamischer Inbrunst längst hinweggefegt worden, vergleichbar mit den »weißen Federn« aus dem Roman Rudyard Kiplings, dem sich hier eine letzte Gelegenheit bot, den Glanz und die Glorie des Empire zu zelebrieren. Wir suchen das konisch aufragende Mausoleum des koranischen Heilsbringers Ahmed Mohammed auf, aber es drängen sich keine Gläubigen um die Reste dieses mythischen Vorkämpfers.
    Am Rande des Meidan sammeln sich die Anhänger eines Derwischordens zur Übung des Dhikr, zur unaufhörlichen Beteuerung, daß es außer Gott keinen Gott gebe, »la Illahu illa Allah!« Aus dem endlosen Gräberfeld, über dem die Familiengrüfte der »Schurafa«, der angeblichen Nachkommen des Propheten, bizarre Konturen zeichnen, naht eine exotische Prozession zu den Klängen dumpfer Trommeln und quäkender Blasinstrumente. Neben denwürdigen Muriden in wallender, weißer Galabiyeh hüpft eine Schar von Sonderlingen, Kobolden gleich, die den bloßen Brustkörper bunt bemalt haben. Mit ihrem wild wuchernden Bart- und Haarwuchs ähneln sie den Sadhu und Fakiren des indischen Subkontinents. Sie fuchteln mit schweren Stöcken und stoßen gellende Schreie aus. Niemand scheint sich jedoch an diesen bizarren Außenseitern, die sich teilweise wie Epileptiker aufführen, zu stören. Unter einem Wald von roten und grünen Fahnen ist jetzt das geistliche Oberhaupt der Sekte, der »Scheikh ud-Din«, eingetroffen, eine gebieterisch, fast biblisch wirkende Erscheinung. Der heilige Mann ist von gigantischen schwarzen Ordnungshütern umgeben, und er bestimmt von nun an das Ritual, das sich in später Nacht zu verzückter Ekstase steigern wird.
    Kain und Abel
    El Fasher (Darfur), Februar 2007
    Die Trockenzeit hat die Ebene mit einer borstig-grauen Elefantenhaut überzogen. Vereinzelte schwarze Felsen heben sich wie bösartige Pocken ab. Der Horizont verschwindet im Dunst. Der Flug nach Darfur findet an Bord einer bescheidenen Trident-Maschine statt. Sie bewegt sich in gerader Linie nach Westen, in Richtung auf den Knotenpunkt Nyala, wo auch die Eisenbahnstrecke endet. Ausgetrocknete, sandige Wadis täuschen eine Mondlandschaft vor.
    Gestern abend hatte ich noch der französischen Botschafterin meine Aufwartung gemacht. Ihre Kanzlei gleicht einer Festung. Frankreich ist unmittelbar in dem blutigen Chaos von Darfur engagiert, grenzt doch seine frühere Kolonie, die heutige Republik Tschad, unmittelbar an diese Aufstandsregion. Die Diplomatin hat Arabistik studiert und äußert sich bewundernd über die perfekte Sprachkenntnis der chinesischen Dolmetscherin Hu Jintaos. Meiner Reise nach El Fasher, der Hauptstadt von Darfur, sieht sie mit Skepsisentgegen. »Sie sollen im Gouverneurspalast logieren?« fragt sie. »Dann beschaffen Sie sich vorsorglich einen Schlafsack, Trinkwasser, Handtuch, Seife und Moskitospray.« Wie so mancher erfahrene Beobachter vor Ort hütet sich die Botschafterin vor den gezielten Informationen gewisser Quellen, die die Zahl der durch die Regierungstruppen ermordeten Zivilisten ins Unermeßliche steigern. Insbesondere die militante Organisation »Save Darfur«, die in den USA beheimatet ist, führe eine Propaganda gegen das Regime des Generals Omar el-Bashir und scheue vor keiner Übertreibung zurück.
    Eine seltsame Koalition hat sich da zusammengefunden. Neben der jüdischen Lobby in den USA, die im Sudan eine Drehscheibe des islamistischen Terrorismus wittert, haben afro-amerikanische Organisationen offen Partei ergriffen zugunsten der bedrängten schwarzen Stämme, die – unabhängig von ihrer konfessionellen Zugehörigkeit – durch die arabisierten »Räuberbanden« des Nordens niedergemetzelt würden. Christliche Fundamentalisten wiederum, die sogenannten »Evangelikalen«, polemisieren in Unkenntnis der realen Situation Darfurs, dessen Bevölkerung und diverse Bürgerkriegsparteien sich ausschließlich zum koranischen Glauben bekennen, gegen die Ausrottung der dort angeblich siedelnden christlichen

Weitere Kostenlose Bücher