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Arabiens Stunde der Wahrheit

Arabiens Stunde der Wahrheit

Titel: Arabiens Stunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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Trauerweiden aussahen und von den Franzosen mit viel Mühe gesetzt worden waren. Beim abendlichen Gespräch erfuhr ich, in welcher vertraulichen Mission die französischen Geologen nach Süden strebten, in Richtung auf das Air-Gebirge, wo reiche Uraniumvorkommen geortet worden waren.
    Am nächsten Morgen fuhr mich der Capitaine zu einem ärmlichen Bau am Rande der Ortschaft, der mir seltsam bekannt vorkam. Um die Jahrhundertwende hatte hier der ehemalige französische KavallerieoffizierCharles de Foucauld ein Eremitendasein geführt. Als Schüler unseres frommen Collège Saint-Michel war uns einst ein erbaulicher Film über Leben und Tod dieses ungewöhnlichen Mannes vorgeführt worden, der die Chronik der Gesta Dei per Francos bereichert hätte. Der Offizier Charles de Foucauld hatte ein Leben in Saus und Braus geführt und an allen Genüssen der »belle époque« teilgehabt, bevor er – als jüdischer Rabbi verkleidet – nach Marokko eingeschleust wurde, um die französische Eroberung dieses Sultanats vorzubereiten. In den Gassen der maghrebinischen Medinas, im Kontakt mit der intensiven Frömmigkeit des Islam überkam ihn die göttliche Gnade. Er trat in den Trappisten-Orden ein und zog sich später in das Herz der Sahara nach Tamanrasset zurück, um dort als Einsiedler und Büßer zu leben. Er hegte wohl auch die Hoffnung, den Nomaden der Wüste durch das Vorleben christlicher Tugenden den Weg zum Heil zu weisen.
    Dieser fränkische »Marabut« hatte bei den ortsansässigen Stämmen offenbar hohe Achtung genossen, auch wenn natürlich kein Moslem daran dachte, der Lehre des Propheten seinetwegen den Rücken zu kehren. Während des Ersten Weltkrieges, als Afrika von französischen Truppen weitgehend entblößt wurde, drangen 1916 die fanatischen Derwische der Senussi-Bruderschaft aus der Cy­reneika in das Hoggar-Gebirge ein und gewannen die Tuareg-Stämme für ihre kämpferische Gemeinschaft. Nun schlug die Stunde des Martyriums für Charles de Foucauld. Ein Trupp verschleierter Wüstenkrieger besetzte seine ungeschützte Klause und erschoß ihn. An der Lehmwand seiner Einsiedelei stellte eine vergilbte Photographie den Père de Foucauld dar, einen kargen, ausgezehrten Mann, auf dessen weißem Burnus ein Kreuz mit dem Herz Jesu aufgenäht war. Aus dem Blick des Eremiten sprach eine Mischung aus Verzückung und schmerzlicher Ergebenheit. Er muß den Tod durch die Senussi als Erlösung empfunden haben.
    Zu unserem nächsten Reiseziel, dem Karawanen-Treffpunkt Agades, führte keine Piste mehr, nicht einmal ein Hinweis. Von nun an sanken unsere Fahrzeuge immer wieder zwischen Steinbrocken und tiefem Flugsand bis zur Achse ein. Wenn eines der Autos sichfestfuhr, legten wir kurze Leitern unter, zogen mit vereinten Kräften, setzten im äußersten Fall die Winde des LKWs in Gang.
    Die Sonne rötete unsere Gesichter. Der Wind war eiskalt. Das Fortkommen wurde fast unerträglich, bis schließlich die europäische Ungeduld unmerklich von uns abfiel und wir in den Bann der zeitlosen Landschaft gerieten. Wir gelangten zu einer Folge von Wanderdünen. Damit die Reisenden nicht völlig die Orientierung verloren und elend verdursteten, waren in regelmäßigen Abständen Holzpfosten in den Sand gerammt. Aber die Pfähle waren so weit voneinander entfernt, gelegentlich verschwanden sie auch ganz in den Dünen, daß wir häufig auf die Motorhaube des Lastwagens klettern mußten, um den nächsten Wegweiser anzupeilen. Ich mußte an den »Llano Estacado« aus den Wildwest-Erzählungen Karl Mays denken.
    Nach einigen strapaziösen Tagen ging die Wüste allmählich in eine platte, dürre Steppe über. Wir näherten uns der Ortschaft Agades. Dieser Umschlagplatz zwischen Wüste und Sahel hatte sich seit der Präsenz Ibn Battutas wohl nicht sonderlich verändert. Zwischen pechschwarzen Sudanesen verhielten sich die Viehzüchter des Peul- oder Fulbe-Volkes unter ihren bunt geflochtenen Strohhelmen fremd und abweisend, als trauerten sie einer gar nicht so fernen heroischen Vergangenheit nach. Unermüdliche »Griots«, halb Gaukler, halb Bänkelsänger, lauerten den vornehmen Stammesherren oder den zahlungskräftigen Fremden auf, schmeichelten ihnen mit improvisierten, plumpen Lobliedern und steckten ein paar Münzen ein. Auch ich hatte

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