Arabiens Stunde der Wahrheit
als ferner »Franke« Anspruch auf eine solche Huldigung. Die grell kostümierten Haussa-Händler breiteten ihre Waren aus.
Das weiÃgetünchte Hotel mit den dicken Lehmmauern, in dem wir Unterkunft fanden, verfügte über einen stilvollen Kuppelsaal, der â wie der französische »patron« berichtete â zur Zeit des Senussi-Aufstandes im Ersten Weltkrieg dieser eifernden Sekte als Hauptquartier bei ihren Razzien bis nach Gao und Timbuktu gedient hatte.
Der französische Administrateur, der von den häufigen Fieberanfällenseines Kolonialdienstes gezeichnet war, verstand es offenbar vorzüglich, die ererbte Feindseligkeit der unterschiedlichen Rassen â Hamiten, ehemalige schwarze Sklaven und arabisierte Sudanesen â auszugleichen. Er lebte mit einer bildhübschen jungen Frau aus dem Volk der Tuareg zusammen, die die elegante Schlankheit ihrer Rasse bewahrt hatte. Aischa bediente uns bei Tisch mit anmutigen Gazellenblicken. »Die Bindung an eine eingeborene Konkubine ist für mich überaus nützlich«, erklärte der Kolonialbeamte. »Da Aischa mir gegenüber eine gewisse Zutraulichkeit entwickelt hat â von Liebe sollte man in dieser Region besser nicht reden â, erfahre ich von ihr vieles über die ethnischen Konflikte, die Sippenzusammenhänge, auch über eventuelle Verschwörungen, die einem WeiÃen sonst verschlossen bleiben.« Diese profunde Kenntnis des indigenen Milieus würde seinen Nachfolgern wohl kaum zugute kommen, da es neuerdings in der Pariser »Ecole Coloniale« Mode geworden war, die jungen Administrateurs mit ihren französischen Gattinnen in die fernen Besitzungen Frankreichs zu entsenden.
Agadez ist heute im Herzen der Republik Niger gelegen und leitet bereits zum Tschad-See über. In der Umgebung dieses Handelszentrums hatten sich die Tuareg ihre Ursprünglichkeit erhalten. Ihre Stammesstrukturen waren weitgehend intakt. Innerhalb der Kaste der Edlen sorgte die matrilineare Erbfolge dafür, daà die Negrifizierung der hellhäutigen Hamiten begrenzt blieb. Die jungen Frauen, die das goldbraune Antlitz unverhüllt trugen, zeichneten sich oft durch Anmut und Schönheit aus. Hier hatte sich die Sitte erhalten, die Mädchen, wenn sie heiratsfähig wurden, in Käfige zu sperren, wo sie unbeweglich kauerten und mit Kamelmilch pausenlos gemästet wurden, bis sie so fett waren, daà sie kaum noch gehen konnten. Dann war das urwüchsige Schönheitsideal dieser Nomaden erreicht, vergleichbar mit den Fruchtbarkeitsidolen, die uns aus der Steinzeit überliefert sind. Die Tuareg-Männer, diese hageren Wölfe der Wüste, die nur aus Haut, Sehnen und Knochen bestehen, verzehrten sich in Sehnsucht nach den dickbäuchigen weibÂlichen Amphoren.
Nach einem fröhlichen Gelage trennte ich mich von den franÂzösischenUran-Prospektoren. RegelmäÃige Verbindungen nach Süden gab es nicht, und so vertraute ich mein Schicksal einem Haussa-Chauffeur an, einem lieben Kerl, dessen Lastwagen mit ErdnuÃsäcken überfrachtet war. Jenseits von Zinder, wo ich die Nacht in einem Frachtraum auf ErdnuÃsäcken schlafend verbrachte, passierten wir die Grenze zur ehemals britischen Kolonie Nigeria. Sehr bald sollte ich feststellen, wie sehr sich die von den Franzosen in West- und Ãquatorialafrika praktizierte »administration directe« von der britischen Methode der »indirect rule« unterschied. In den Emiraten Nord-Nigerias hat unter dem Union Jack eine fast mittelalterlich anmutende Form des islamischen Feudalismus überdauert.
Bevor ich für meine Reise nach Lagos einen relativ komfortaÂblen Zug bestieg, hatte ich mich bei der britischen Garnison von Kaduna einquartiert, die mich mit groÃer Gastlichkeit aufnahm. Die Offiziere Ihrer Majestät erlebten die rapide Auflösung ihres KoÂlonialbesitzes. Die frühere »Goldküste« am Golf von Guinea stand gerade im Begriff, unter der Führung Kwame Nkrumahs als erster afrikanischer Staat ihre Unabhängigkeit unter dem Namen »Ghana« zu vollziehen, obwohl das mythische Land Ghana vor tausend Jahren im Raum der heutigen Republiken Mali und Mauretanien situiert war und den Ruf unermeÃlichen Reichtums genoÃ. London hatte den Zweiten Weltkrieg gewonnen und das Empire verloren. Dessen war man sich in Kaduna schmerzlich bewuÃt, auch wenn die weiÃen Sergeants
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