Arabiens Stunde der Wahrheit
fortfuhren, ihre nigerianischen Haussa-Soldaten im strengen britischen Exerzierreglement zu drillen, das die Afrikaner mit dem ihnen angeborenen Sinn für Rhythmus mit der Perfektion eines Balletts nachahmten.
Ich weià nicht mehr, aus welchem Grunde am Abend vor meiner Abreise nach Lagos ein groÃes Fest im Casino veranstaltet wurde. War es Galgenhumor oder Trotz? Mit zunehmendem Genuà von Whisky und Gin gerieten die Offiziere, die mit ihren angetrauten englischen Frauen im komfortablen militärischen Compound lebten, auÃer Rand und Band. Sie verzichteten auf die ihnen anerzogene »stiff upper lip«, führten wilde Tänze auf, hoben ihre ebenfallsentfesselten Frauen auf die Schultern, täuschten Reiterkämpfe vor. Das Ganze vollzog sich bei dröhnendem Gesang. Diese Männer gehörten einem Regiment an, das die Italiener aus Ãthiopien vertrieben hatten. Sie waren durch die Verteidigungslinie Marschall Rommels bei El Alamein hindurchgestoÃen und hatten in Italien gekämpft. Am folgenden Morgen würden sie ihre steife Korrektheit und ihre unterkühlte Arroganz wiedergefunden haben.
El Qaida bei den Tuareg
Es ist durchaus nicht meine Absicht, die Sahelzone als »Schlachtfeld der Zukunft« zu bezeichnen, aber es hat seit geraumer Zeit zu rumoren begonnen im ganzen Sudan-Gürtel. Diese ersten tektonischen Erschütterungen im weiten Umfeld der Sahara nimmt man in Washington, in Paris, in London viel hellhöriger auf als in Berlin, wo das lautstarke Bekenntnis zum globalen Engagement mit einer betrüblichen Provinzialisierung der auÃenpolitischen Wahrnehmung einhergeht. Die deutsche Ãffentlichkeit hatte diese Region nur kurzfristig wahrgenommen, als eine Gruppe von deutschen Abenteuertouristen sich in die grandiose Felslandschaft vorgewagt hatte, wo die Grenzen Algeriens, Libyens und Nigers sich überschneiden. Sie wurden dort von islamistischen Glaubenskämpfern gefangengenommen, wohl in der Erwartung, daà für die Befreiung dieser Geiseln aus der Bundesrepublik ein sattes Lösegeld bezahlt würde. Mit Ausnahme einer Frau, die den Strapazen des Gewaltmarsches durch Sand und Geröll erlag, sind alle anderen unbeschadet davongekommen und haben berichtet, daà sie von den Guerilleros der Sahara in keiner Weise miÃhandelt oder gedemütigt wurden. Die Partisanen, die mit dem erpreÃten Geld Waffen kaufen wollten, beabsichtigten wohl auch, den aufkeimenden Tourismus in den Sahel-Staaten zum Schaden der dortigen Regierungen zum Erliegen zu bringen.
DieKidnapper operierten unter einem schwer verständlichen Namen. Sie bezeichneten sich als »salafistische Bewegung für Predigt und Heiligen Krieg«. Die »Salafiya« der Altvorderen, die zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts von dem allseits geschätzten Religionslehrer Scheikh Mohammed Abduh die Rückführung des Islam von wild wuchernden Fehlinterpretationen auf den koranischen Urtext gepredigt hatte, wurde in der Zwischenzeit zu einer gewalttätigen Ausweitung miÃbraucht und zunehmend von radikalen Eiferern in Anspruch genommen.
Die Sahara und die schutzlose Steppenlandschaft des Sahel bieten geringe Möglichkeiten, sich zu tarnen und der Aufspürung durch Aufklärungsflugzeuge zu entziehen, so daà die Salafisten sich in kleine »Kataeb« aufspalten muÃten. Um internationale Wirkung zu erzielen, haben sie sich umbenannt und treten neuerdings unter dem ominösen Begriff »El Qaida des islamischen Maghreb« auf. Damit geben sie zu erkennen, daà sich ihre umstürzlerische Tätigkeit nicht nur gegen die mehr oder weniger despotischen Regime ihrer Region richtet, sondern gegen alle DikÂtaturen Nordafrikas, die sich von Mauretanien und Marokko über Algerien, Tunesien und Libyen bis nach Ãgypten aneinanderreihen.
Daà diese »Gotteskrieger« überleben und sich allmählich sogar verstärken konnten, verdanken sie vor allem dem neu erwachten kriegerischen Instinkt der Tuareg und den Subsidien des libyschen Diktators Qadhafi. Diese Nomaden waren mit der Gründung postkolonialer afrikanischer Staaten neuen schwarzen Führungsschichten aus Völkerschaften unterworfen, die ihnen einst als Sklaven gedient hatten. In den Republiken Mali, Niger und Tschad entstanden am Rande der Wüste völlig autonome, von den Behörden in Bamako, Niamey oder Ndjamena unkontrollierte Zonen, wo die verschleierten Kamelreiter eine
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