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Arabiens Stunde der Wahrheit

Arabiens Stunde der Wahrheit

Titel: Arabiens Stunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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1947 erinnerte und eine konfessionelle Zerrüttung nach dem Muster des indischen Subkontinents nicht mehr ganz ausschloß. In Kaduna hatte sich die Regierung des Nordens unter Vorsitz des ­designierten Nachfolgers des Fulani-Sultans von Sokoto, des Sardauna Ahmadu Bello, niedergelassen.
    Die britische Kolonie Nigeria war 1914 entstanden, als die Engländer ihre Protektorate in Nord und Süd administrativ zusammenschlossen. Man zählt insgesamt mehr als vierhundert Ethnien. Ausschlaggebend bleiben jedoch die Haussa, Fulbe, Yoruba und Ibo, die in tief eingefleischtem Mißtrauen und teilweise offener Gegnerschaft nebeneinanderleben. Mehr als die Hälfte der rund 150 Millionen Nigerianer, die die Föderation heute zählt, bekennt sich zum Islam, 40 Prozent bezeichnen sich als Christen und 10 Prozent hängen weiterhin ihren Naturreligionen an.
    Im Jahr 1960 hat Nigeria seine Unabhängigkeit erlangt. Im We­sten wurden damit große Hoffnungen verbunden, daß hier ein für Afrika richtungweisendes Modell entstehen könne. Föderalismus und Demokratie standen auf dem Programm dieses mit reicher Landwirtschaft und unermeßlichen Mineralvorkommen gesegneten Giganten des schwarzen Kontinents. Aber schon unmittelbar nach seiner Gründung wurde Nigeria die Beute korrupter Politiker und brutaler Militärs. Die Präsidentschaft wurde fast durchgehend von ehrgeizigen Generalen usurpiert. Die politische Macht wurde vorrangig von den im Norden lebenden Haussa oder Fulbe ausgeübt. Im Süden, wo die christlichen Ibo 1967 die kurzlebige Republik Biafra ausriefen, verbreitete sich eine beispiellose Bestechlichkeit und Sittenlosigkeit.
    1970 wurde das riesige Land in 36 Bundesstaaten unterteilt. Seitdem wird Nigeria – vor allem in der Grenzzone der unterschiedlichen Konfessionen – fast täglich von mörderischen Überfällen, von Pogromen, sogar von Massakern heimgesucht. Die Gewalttätigkeitwird von beiden Seiten – von Jüngern des Kreuzes und des Halbmondes – ausgeübt, so daß in den klimatisierten, komfortablen Clubs, wo sich die Geschäftsleute und Spekulanten aus den USA und Europa treffen, wieder einmal Wetten darüber abgeschlossen werden, wie lange die Einheit der Föderation, die im Zentrum des Landes die künstliche Hauptstadt Abuja in die Savanne verpflanzte, diese Animositäten überleben kann oder ob sie nicht einer unweigerlichen Spaltung entgegentreibt.
    *
    Im Mai 2001 habe ich zu ergründen versucht, wie es der Viehzüchter-Rasse der Peul etwa hundert Jahre vor dem Eindringen britischer und französischer Kolonialarmeen in Westafrika gelungen war, ganze Völkerschaften zwischen Senegal-Fluß und Tschad-See zu unterwerfen. Vom Taumel islamischer Frömmigkeit erfaßt, waren die Peul über immense Territorien ausgeschwärmt. Die Nachfahren dieser Eroberer leben weiterhin in Erinnerung des grandiosen Jihad. In der Republik Guinea haben sich etwa zwei Millionen Fulani im festungsähnlichen Gebirge des Fouta-Djalon niedergelassen, das von den Geographen als »Wasserturm Westafrikas« bezeichnet wird. Dort entspringen die wichtigsten Flüsse der Region, Niger, Senegal und Gambia.
    In dieses Réduit wollte ich vorstoßen. Meist ertrinkt das Plateau des Fouta-Djalon in dichten Nebelschwaden und Wolken. Aber an diesem Tag wölbte sich blauer Himmel. Nachdem wir von der Hauptstraße in Richtung Kankan nordwärts abgebogen waren, nahm uns eine eindrucksvolle Landschaft auf, grünbewaldete Hänge und schwarze Basaltschluchten, die sich zwischen Tafelbergen schlängelten. Nach dem Waschküchenklima Conakrys genossen wir die angenehme Frische. Die Gendarmerie-Kontrollen, die zwischen Kindia und Mamou so zahlreich waren, als befände sich Guinea im Belagerungszustand, waren seltener geworden. Normalerweise hielten die Militärs sämtliche Wagen an, um sie nach Waffen zu durchsuchen und eine Bestechungssumme zu kassieren. MeinFahrer Barry, der stets auf die Präsenz eines weißen Fahrgastes verwies, blieb unbehelligt.
    Die Dörfer des Fouta-Djalon sind nicht ansehnlicher als die des Tieflandes. Die Moscheen mit den bizarren weißen Türmen sind jedoch viel zahlreicher. Viele Höfe mit pilzförmigen »Tukul« liegen abseits verstreut. Der Aufstieg war irgendwie feierlich, als bewegten wir uns auf eine afrikanische Gralsburg zu. Oder habe ich nur zuviel

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