Arabiens Stunde der Wahrheit
Heute gebe es keinen Almamy mehr. An seine Stelle seien die Imame der groÃen Moscheen des Fouta-Djalon getreten, und die regelten neben religiösen Fragen auch ganz alltägliche Probleme mit groÃer Autorität.
Zu meiner Ãberraschung erfahre ich, daà nach der düsteren Epoche des marxistischen Diktators Sekou Touré die weitgestreute Föderation der Fulani die Verbindung untereinander wiederaufgenommen hat. Eine Art Renaissance sei im Gange, die sich auch auf die Pflege der gemeinsamen Fufulde-Sprache erstrecke. »Wir veranstalten Konferenzen mit unseren Brüdern aus Senegal, Mali, ÂKamerun und Nigeria.« Der Ustaz ist ein schrifttreuer Moslem, der den Abweichungen der Sufi-Bruderschaften skeptisch gegenübersteht. Der Vorrang der malekitischen Rechtsschule in Dalaba deutet auf alte Verbindungen zum Maghreb hin. Neuerdings sei bei den Jüngeren eine Hinwendung zum strengen hanbalitischen Ritus festzustellen, und der Einfluà der Wahhabiten nehme zu. Für einen guten Moslem gelte jedoch nur der Koran und der Hadith, die Ãberlieferung aus dem Leben des Propheten. Eine Rückkehr zur Reinheit der ursprünglichen Lehre, zur »Salafiya«, sei das Gebot der Stunde. Die Zuhörer sind neugierig auf das, was ich aus Deutschland zu berichten habe. Daà dort inzwischen mindestens vier Millionen Korangläubige leben, erfüllt sie mit groÃer Freude.
*
Der britischen Kolonialpraxis des »indirect rule« ist es zu verdanken, daà das höfische Zeremoniell der Emire und Sultane Nord-Nigerias erhalten blieb. Bei den groÃen Festlichkeiten, die seine Königliche Hoheit Alhaji Ado Bayero, der wichtigste dieser FürÂsten,veranstaltete, glaubte man sich fast zurückversetzt in die Reisebeschreibungen Ibn Battutas. Das Protokoll dieser Entfaltung medievaler Pracht geht tatsächlich auf einen gewissen Mohammed el-Maghili zurück, der, den Annalen zufolge, im Januar 1493 aus der Sahara nach Kano kam. Der heutige Malik, ein hochbetagter Mann, übt zwar keine unmittelbare Regierungsgewalt aus, ist aber die höchste religiöse Autorität, und im traditionellen Islam sind Staat und Religion nun einmal nicht zu trennen. Ado Bayero entstammt dem Volk der Fulbe, aber für seine Untertanen, die überwiegend den Stämmen der unterworfenen Haussa angehören, ist er »der Mond, der den nächtlichen Himmel erleuchtet«. Das Volk huldigt ihm als dem »unbesiegbaren Löwen«, dem Regenspender in Perioden exzessiver Dürre und Trockenheit.
Bei den jährlichen Feierlichkeiten wird vor allem des groÃen Eroberers und Marabut Osman Dan Fodio gedacht, und das armselige Gewirr schäbiger Hütten und verschmutzter Gassen füllt sich plötzlich mit majestätischem Glanz. Die offizielle Staatsverwaltung wird zwar von einem Gouverneur ausgeübt, den die Regierung in Abuja ernennt. Aber sehr schnell hat dieser AuÃenseiter erkannt, daà der angestammte König weit mehr darstellt als eine folkloriÂstische Kuriosität. Der Beauftragte der Föderation bestätigt, was in Kano und in anderen Emiraten des Nordens das Gebot der Stunde sei. Auch er fordert »mehr Islam« im täglichen Leben, läÃt grüne Plakate anbringen mit der Aufschrift »Fürchte Allah, wo immer du bist«, und er respektiert die Anwendung der koranischen Rechtsprechung. Schon lehnen sich die Ungläubigen in der sündigen Hafenmetropole Lagos gegen diesen Rückfall auf und verspotten die Stadt Kano als »Schariapolis«.
Bevor der Emir aus seinem Palast ausreitet, einem kolossalen Lehmblock mit zehn Meter dicken Mauern, der fünfhundert Jahre alt ist, ertönt das Getöse der Trompeten und Trommeln. Hunderttausende seiner Untertanen drängen sich am StraÃenrand, um ihm zuzujubeln. An der Eskorte zu Ehren des groÃen Jihad vor 200 Jahren und zur Sicherung des Sultans nehmen 2000 Edle auf Pferden und Kamelen teil sowie 30000 treue Anhänger zu FuÃ, die mit Pfeilund Bogen bewaffnet sind. Alhaji Ado Bayero ist seinerseits einem strengen Ritual unterworfen. Er muà stets Abstand halten zum gewöhnlichen Volk. Sein Gesicht ist meist durch einen Schleier verborgen. Sein Antlitz soll abwechselnd Strenge und Milde ausdrücken. Zu seinen Untertanen spricht er nicht direkt, sondern läÃt seine Weisungen durch einen Herold verkünden, ein Brauch, der übrigens bei den meisten afrikanischen Stämmen,
Weitere Kostenlose Bücher