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Arabiens Stunde der Wahrheit

Arabiens Stunde der Wahrheit

Titel: Arabiens Stunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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Ägypten in die Umgebung des Tschad-Sees gelangt. Bis nach Ilorin im Yoruba-Land sollte Osman Dan Fodio seinen siegreichen Jihad ­vorantreiben. Seine Kavallerie wäre mühelos bis zur Küste des Guinea-Golfs vorgedrungen und hätte auch die dortigen Völkerschaften zum Islam bekehrt, wenn die Pferde nicht im versumpften Dschungelgelände des Südens der Plage der Tsetsefliege erlegen wären, wodurch der Eroberungszug im Morast steckenblieb.
    Osman Dan Fodio proklamierte sich zum Kalifen, aber dann zog er sich in frommer Abgeschiedenheit nach Sokoto zurück. Sein Reich wurde von inneren Zwistigkeiten zerrüttet, so daß die aus Süden vorrückenden Engländer ein relativ leichtes Spiel hatten. Ab 1901 verleibte London den Norden des heutigen Nigeria dem Empire ein, überließ jedoch den örtlichen Emiren und Scheikhs, vor allem auch dem mächtigen Sardauna von Sokoto weitgehende Selbstverwaltung und Autorität über ihre muslimischen Untertanen, die Elite der Fulani und die mit ihnen in Harmonie lebende Mehrheitsbevölkerung der Haussa.
    Mein Ziel ist die Stadt Dalaba, deren einziges bemerkenswertes Bauwerk die riesige Moschee ist, die mit ihren schlanken Minaretten und der grünen Kuppel die Richtung weist. Das Gebetshaus ist erst im Jahr 1999 von einem reichen Peul-Kaufmann gespendet worden. Aber hier konzentriert sich inzwischen – weit mehr als in Labé oder Timbo – das politisch-religiöse Leben. Die Frauen sind nicht verschleiert, und wir begegnen zahlreichen Schulklassen beider Geschlechter. Zur Zeit der Franzosen wurde Dalaba, das auf 1300 Meter Höhe liegt, als Erholungsort geschätzt.
    Es ist Mittagszeit, und ich suche die Moschee auf. Der Muezzin hat zum Gebet gerufen, und eine Gruppe von etwa fünfzig Männernaller Altersklassen hat sich in dem weißgekachelten Gebetsraum in Richtung Mekka versammelt. Ich habe natürlich meine Schuhe ausgezogen, und als zwei junge Männer mich nach meinem Begehren fragen, rezitiere ich auf gut Glück die erste Sure des Korans, die Fatiha. Da stehe ich auf einmal im Zentrum einer herzlichen Freundschaftsbekundung. Obwohl ich betone, daß ich kein Moslem, sondern Christ sei, werde ich in die erste Reihe der Betenden geleitet.
    Der stellvertretende Imam, ein gütig blickender Greis mit spärlichem weißem Bart nimmt sich meiner besonders an, während wir uns im vorgeschriebenen Rhythmus aufrichten oder zu Boden fallen lassen. Das Ritual ist mir bekannt, aber der »Na’ib« legt Wert darauf, daß ich die Verneigungen exakt nach Vorschrift durchführe. Für jemanden, der diese fromme Gymnastik nicht gewohnt ist, beginnen die Gelenke sehr schnell zu schmerzen. Wenn ich nicht gerade mit Stirn und Nase den Teppich berühre, schaue ich mir meine Gefährten genau an. Ein besonders stark ausgeprägter ethnischer Typus, wie ihn die frühen Reisenden beschrieben, ist kaum noch zu erkennen. Vermutlich haben die Angehörigen anderer afrikanischer Stämme dafür einen schärferen Blick. Aber negroid sehen die wenigsten Gesichter aus. Der Teint ist heller, die Lippen schmal und die Nase oft gebogen.
    Nach dem Gebet kommen wir im Vorhof der Moschee unter einem weit ausladenden Baum zusammen. Der Mufti stellt mich einer imponierenden Persönlichkeit vor. El Hadj Ticero Habib Sow steht der islamischen Liga von Dalaba vor. Der mächtig gewachsene Mann spricht perfekt Französisch und unterrichtet als Geschichtsprofessor an einer nahen Hochschule. Bei diesem »Ustaz« hat sich die ursprüngliche Physiognomie der Fulani sehr rein erhalten. Das kahlgeschorene Antlitz wirkt fast römisch, und er bewegt sich mit den Allüren eines Kurienkardinals. Ich werde aufgefordert, zwischen dem Imam und dem Professor auf einer Steinbank Platz zu nehmen, während die Gläubigen zu unseren Füßen hocken.
    El Hadj Ticero kennt sich gut aus in der Historie seines Volkes. Er belastet sich nicht mit unnötigen Legenden. »Gerade in Deutsch­landsind eine Reihe von klugen Veröffentlichungen über uns erschienen, und der kundigste Entdecker war Heinrich Barth«, belehrt er mich. »Nein, einen Kalifen haben wir nie gehabt«, antwortet er auf meine Frage, »der Almamy, die höchste weltliche und geistliche Autorität, wurde von den großen Sippen kooptiert. Ein Ältestenrat stand ihm zur Seite, und alle zwei Jahre wurde er ausgewechselt.«

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