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Arabiens Stunde der Wahrheit

Arabiens Stunde der Wahrheit

Titel: Arabiens Stunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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die von den ägyptischen Streitkräften an Paradetagen stolz vorgeführt wurden, deren tatsächliche Einsatzfähigkeit jedoch fragwürdig blieb. Die Israeli hatten diesem Treiben nicht tatenlos zugesehen. Pilz erhielt ein Paket, das beim Öffnen explodierte und der deutschen Sekretärin des Professors das Augenlicht raubte. Es war ein deprimierendes Gespräch mit diesem enttäuschten Wissenschaftler und seiner entstellten Gefährtin. Der Krieg der Geheimdienste kannte keine Pause und Gnade.
    Nasser befand sich auf der Höhe seines Ruhmes. Die Verstaat­lichung des Suezkanals im Juli 1956, vor allem aber das Fiasko der britisch-französischen Militäraktion zwischen Port Said und Is­mailia hatte einen Sturm der Begeisterung in der ganzen arabischen Welt zwischen Marokko und Irak entfacht. Der Begriff »Nasserismus« wurde zum Synonym eines bislang kaum vorhandenen »Panarabismus«, des kollektiven Bestrebens, eine geeinte mächtige arabische Nation ins Leben zu rufen. Der »Bikbaschi«, der Oberst, wie Nasser an der Themse und an der Seine spöttisch genannt wurde, verstandes bei seinen Kundgebungen, die Zuhörer in einen Rausch der Begeisterung zu versetzen. Er begann seine Reden stets mit ein paar hocharabischen Sätzen und verfiel dann mit demagogischer Wucht in den Dialekt des Niltals. Dieser Tribun, der schon als Kind den englischen Flugzeugen, wenn sie über sein Dorf in Ober-Ägypten herzogen, die geballte Faust gezeigt hatte, war sich seiner Kühnheit wohlbewußt.
    Nachdem er sich mit den Amerikanern über den Bau des »Sadd-el-’Ali«, des gewaltigen Staudammes von Assuan, überworfen hatte, setzte er auf die sowjetische Karte, bezog von den Russen ein gigantisches Waffenarsenal, ließ seine Offiziere auf der Frunse-Akademie ausbilden, was ihn nicht hinderte, die einheimischen Kommunisten Ägyptens auszuschalten und in Konzentrationslager zu sperren. Dieser ungewöhnliche Mann, der so viel Energie und Dynamik entfaltete, könne doch kein richtiger Ägypter sein, so hatten die britischen Intelligence-Experten ursprünglich gemutmaßt und nachgeforscht, ob nicht türkisches, albanisches, kaukasisches Blut in seinen Adern floß. Aber sie hatten sich überzeugen müssen, daß es sich um einen authentischen Sohn des Niltals, Sprößling einer bescheidenen Fellachen-Familie handelte.
    In späteren Jahren habe ich am Grab des großen »Rais« über dessen Rolle in der Geschichte meditiert. Man hat ihm kein prachtvolles Mausoleum errichtet, sondern sein Leichnam ruht in einem Annex der El-Geisch-Moschee von Heliopolis. Auf dem schlichten Marmorsarg ist die Formel der Schahada eingemeißelt: »Es gibt keinen Gott außer Gott«. Das grandiose Denkmal, das er hinterlassen hat, ist der mächtige Staudamm am Rande Nubiens, wo sich im langgezogenen Nasser-See eine ungeheure Wassermenge staut. Sollte jemals das Mauerwerk zum Einsturz gebracht werden, würde der schmale, fruchtbare Schlauch der Nilufer mitsamt seinen achtzig Millionen Menschen wie von einer Sintflut hinweggespült.
    Daß die Volksmassen Ägyptens weiterhin mit Bewunderung und Sehnsucht auf diesen Pharao der Neuzeit zurückblicken, ist ra­tional nicht zu erfassen. Gamal Abdel Nasser, der die arabische »Umma« zusammenschmieden und die el-Aqsa-Moschee von ­Jerusalemfür den Islam zurückgewinnen wollte, hat bei diesen Unternehmungen nur Rückschläge und Enttäuschungen erlebt. Seine Staaten-Union mit Syrien hat lediglich zwei Jahre gedauert. Der Feldzug, den er im Jemen unternahm, mußte nach einer Serie von Rückschlägen im Partisanenkrieg abgebrochen werden. Die fürchterlichste Niederlage seiner Streitkräfte traf ihn jedoch im Jahr 1967, als es den Israeli binnen sechs Tagen gelang, die von Moskau gekauften Panzerkolonnen in der Sinai-Wüste zu vernichten und auf breiter Front bis zum Suezkanal vorzustoßen. Gleichzeitig waren den Syrern die strategischen Golanhöhen entrissen worden. Zahal feierte seinen größten Triumph, als seine Fallschirmjäger das Westufer des Jordans – Judäa und Samaria, wie man in Tel Aviv sagt – eroberten und sich der heiligen Stadt Jerusalem, »el Quds« auf arabisch, bemächtigten, wo der Prophet Mohammed in einem mythischen Ritt auf dem Fabeltier Buraq in den höchsten Himmel erhoben wurde, mit seinen Propheten-Vorgängern

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