Arabiens Stunde der Wahrheit
die von den ägyptischen Streitkräften an Paradetagen stolz vorgeführt wurden, deren tatsächliche Einsatzfähigkeit jedoch fragwürdig blieb. Die Israeli hatten diesem Treiben nicht tatenlos zugesehen. Pilz erhielt ein Paket, das beim Ãffnen explodierte und der deutschen Sekretärin des Professors das Augenlicht raubte. Es war ein deprimierendes Gespräch mit diesem enttäuschten Wissenschaftler und seiner entstellten Gefährtin. Der Krieg der Geheimdienste kannte keine Pause und Gnade.
Nasser befand sich auf der Höhe seines Ruhmes. Die VerstaatÂlichung des Suezkanals im Juli 1956, vor allem aber das Fiasko der britisch-französischen Militäraktion zwischen Port Said und IsÂmailia hatte einen Sturm der Begeisterung in der ganzen arabischen Welt zwischen Marokko und Irak entfacht. Der Begriff »Nasserismus« wurde zum Synonym eines bislang kaum vorhandenen »Panarabismus«, des kollektiven Bestrebens, eine geeinte mächtige arabische Nation ins Leben zu rufen. Der »Bikbaschi«, der Oberst, wie Nasser an der Themse und an der Seine spöttisch genannt wurde, verstandes bei seinen Kundgebungen, die Zuhörer in einen Rausch der Begeisterung zu versetzen. Er begann seine Reden stets mit ein paar hocharabischen Sätzen und verfiel dann mit demagogischer Wucht in den Dialekt des Niltals. Dieser Tribun, der schon als Kind den englischen Flugzeugen, wenn sie über sein Dorf in Ober-Ãgypten herzogen, die geballte Faust gezeigt hatte, war sich seiner Kühnheit wohlbewuÃt.
Nachdem er sich mit den Amerikanern über den Bau des »Sadd-el-âAli«, des gewaltigen Staudammes von Assuan, überworfen hatte, setzte er auf die sowjetische Karte, bezog von den Russen ein gigantisches Waffenarsenal, lieà seine Offiziere auf der Frunse-Akademie ausbilden, was ihn nicht hinderte, die einheimischen Kommunisten Ãgyptens auszuschalten und in Konzentrationslager zu sperren. Dieser ungewöhnliche Mann, der so viel Energie und Dynamik entfaltete, könne doch kein richtiger Ãgypter sein, so hatten die britischen Intelligence-Experten ursprünglich gemutmaÃt und nachgeforscht, ob nicht türkisches, albanisches, kaukasisches Blut in seinen Adern floÃ. Aber sie hatten sich überzeugen müssen, daà es sich um einen authentischen Sohn des Niltals, SpröÃling einer bescheidenen Fellachen-Familie handelte.
In späteren Jahren habe ich am Grab des groÃen »Rais« über dessen Rolle in der Geschichte meditiert. Man hat ihm kein prachtvolles Mausoleum errichtet, sondern sein Leichnam ruht in einem Annex der El-Geisch-Moschee von Heliopolis. Auf dem schlichten Marmorsarg ist die Formel der Schahada eingemeiÃelt: »Es gibt keinen Gott auÃer Gott«. Das grandiose Denkmal, das er hinterlassen hat, ist der mächtige Staudamm am Rande Nubiens, wo sich im langgezogenen Nasser-See eine ungeheure Wassermenge staut. Sollte jemals das Mauerwerk zum Einsturz gebracht werden, würde der schmale, fruchtbare Schlauch der Nilufer mitsamt seinen achtzig Millionen Menschen wie von einer Sintflut hinweggespült.
Daà die Volksmassen Ãgyptens weiterhin mit Bewunderung und Sehnsucht auf diesen Pharao der Neuzeit zurückblicken, ist raÂtional nicht zu erfassen. Gamal Abdel Nasser, der die arabische »Umma« zusammenschmieden und die el-Aqsa-Moschee von ÂJerusalemfür den Islam zurückgewinnen wollte, hat bei diesen Unternehmungen nur Rückschläge und Enttäuschungen erlebt. Seine Staaten-Union mit Syrien hat lediglich zwei Jahre gedauert. Der Feldzug, den er im Jemen unternahm, muÃte nach einer Serie von Rückschlägen im Partisanenkrieg abgebrochen werden. Die fürchterlichste Niederlage seiner Streitkräfte traf ihn jedoch im Jahr 1967, als es den Israeli binnen sechs Tagen gelang, die von Moskau gekauften Panzerkolonnen in der Sinai-Wüste zu vernichten und auf breiter Front bis zum Suezkanal vorzustoÃen. Gleichzeitig waren den Syrern die strategischen Golanhöhen entrissen worden. Zahal feierte seinen gröÃten Triumph, als seine Fallschirmjäger das Westufer des Jordans â Judäa und Samaria, wie man in Tel Aviv sagt â eroberten und sich der heiligen Stadt Jerusalem, »el Quds« auf arabisch, bemächtigten, wo der Prophet Mohammed in einem mythischen Ritt auf dem Fabeltier Buraq in den höchsten Himmel erhoben wurde, mit seinen Propheten-Vorgängern
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