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Arabiens Stunde der Wahrheit

Arabiens Stunde der Wahrheit

Titel: Arabiens Stunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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Abdel Nasser praktiziert hätte. Mochten zahlreiche Ägypter auch verblüfft, anfangs sogar erleichtert gewesen sein, die ewige Kriegsdrohung von sich abgewendet zu sehen, so hatte er in den Augen der Fanatiker mit dem »Verrat« an der Sache der Palästinenser sein eigenes Todesurteil unterschrieben. Sadat glaubte sich als frommer, praktizierender Muslim irgendwie gefeit, trug doch seine Stirn das dunkle Mal, das nur der eifrige Beter im Laufe langer Jahre durch ständige Verbeugung bis zum Boden erwirbt. Um die muslimischen Fundamentalisten zu besänftigen, stand er sogar im Begriff, das islamische Recht, die Scharia, zur maßgeblichen Gesetzgebung Ägyptens zu machen. Die islamische Agitation flackerte jedoch im ganzen Lande heftig auf, vor allem in jenen Städten und Dörfern Ober-Ägyptens, wo die Kopten zahlreich sind. In Kairo kam es im Juni 1981 zu mörderischen Ausschreitungen fanatisierter Muslime gegen die Christen des Viertels Zawiya el-Hamra.
    Bislanghatte Sadat in Privatgesprächen immer wieder die Meinung vertreten, der Schah von Persien sei nur gestürzt worden, weil er sich mit den Mullahs des schiitischen Glaubenszweiges angelegt hatte. Jetzt sah er im eigenen Niltal die Drachensaat aufgehen. An den Universitäten betonten bärtige Studenten ihre Zugehörigkeit zur militanten Bruderschaft. Mehr und mehr Frauen – auch unter der Intelligenzia – legten den Schleier an. Prediger und Volkstribune erhoben die Stimme gegen die angebliche Verbrüderung mit den Zionisten. Im Umkreis der großen Muslimbruderschaft wucherten extremistische Randgruppen eiskalter Fanatiker. »Takfir wal-higra« hieß die eine, was mit »Verfluchung und heilige Abkehr von der Welt« übersetzt werden könnte. Eine andere nannte sich kurzum »Gihad – Heiliger Krieg«. Ähnlich wie die frühchristlichen Anachoreten der thebaischen Wüste oder der wirre Fatimiden-Kalif Hakim zogen sich diese jugendlichen Derwische nach Bruch aller Familienbande in die Einöde zurück, kehrten der verfaulten Gesellschaft den Rücken, bildeten klösterliche Gemeinschaften. Aus ihren Reihen sollten die Mörder Sadats hervorgehen. Bei einer großen Militärparade am 6. Oktober 1981 bot sich den Attentätern die gewünschte Gelegenheit. Mit nachtwandlerischer Sicherheit feuerte der junge Leutnant Islambuli seine tödlichen Schüsse auf den Staatschef ab. »Ich habe Pharao getötet«, rühmte sich dieser »Schahid«, ehe er zum Galgen geführt wurde.
    Die Übernahme der Präsidentschaft durch den General und ­Vizepräsidenten Mohammed Hosni Mubarak, der dreißig Jahre lang über das Niltal herrschen sollte, vollzog sich reibungslos. Mit einer traumhaften Zustimmung der Bevölkerung von 98,5 Prozent wurde seine Berufung zum Staatschef bestätigt. Diese groteske Manipulation des Urnenganges wiederholte sich in den Jahren 1987, 1993, 1999 und 2005. Als er im Jahr 2011 eine ähnliche Farce erneuern und seinen Sohn Gamal als Nachfolger installieren wollte, brach endlich der Volkszorn aus und der Tahrir-Platz von Kairo wurde – vorübergehend zumindest – seinem Namen »Platz der Befreiung« gerecht.
    Die Kairoten hielten nicht viel von diesem neuen Militärdiktator, undin den Augen des Volkes war er ein unbeschriebenes, manche meinten ein leeres Blatt. Vermutlich war die »vox populi« ungerecht, wenn sie dem Luftwaffengeneral, der in jeder Hinsicht ein schweres Erbe übernahm, mit Skepsis, ja mit Spott begegnete. Unmittelbar nach meiner Ankunft in Kairo wurde mir seinerzeit einer der zahllosen Witze erzählt, die über den neuen Rais im Umlauf waren.
    Â»Hosni Mubarak«, so berichtet die typisch ägyptische »Nokta«, »ist ohne Paß und Ausweis nach Kairo von einer Auslandsreise zurückgekehrt. Dem Polizeibeamten, der seine Papiere prüfen will, antwortet der Präsident entrüstet: ›Ich bin der Staatschef von Ägypten, ich habe es nicht nötig, mich auszuweisen.‹ Der Polizist schüttelt den Kopf. Er habe seine Vorschriften, und denen müsse er sich beugen. Aber er möchte gern dem Einreisenden entgegenkommen. Unlängst sei Frank Sinatra auch ohne Paß und Visum angekommen, und dem habe er gesagt: ›Zeig, was du kannst. Singe uns etwas vor, und dann werden wir dich erkennen.‹ Sinatra habe ›Strangers in the Night‹

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