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Arabiens Stunde der Wahrheit

Arabiens Stunde der Wahrheit

Titel: Arabiens Stunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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Nasser eine national und panarabisch ausgerichtete Machtübernahme vollzog, stellte das ­islamische Verfügungspotential der Ikhwan einen unberechenbaren Faktor, eine revolutionäre Urkraft dar, die sie zeitweise durch brutalen Zwang, zeitweise jedoch auch durch lockere Konzessionen in Zaum zu halten suchten.
    Der gescheiterte Held
des Arabismus
    Blicken wir auf den Sommer 1956 zurück, den Zeitpunkt meines ersten Kontaktes mit dem Land der Pharaonen. Vier Jahre zuvor, am 23. Juli 1952, war es zu jenem Militärputsch und zur Abschaffung der Monarchie gekommen, derer die Kairoten längst überdrüssig waren. Der grotesk verfettete König Faruk I., der sich nur noch seinen eigenen Gelüsten hingab und die Staatsgeschäfte anderen überließ, hatte jedes Ansehen verloren. Nach einem kurzen Zwischenauftritt des väterlich wirkenden Generals Mohammed Nagib, der lediglich zwei Jahre als nomineller erster Präsident der Republikin Erscheinung trat, schlug die Stunde des eigentlichen Inspirators und Drahtziehers der »Freien Offiziere«, des Oberst ­Gamal Abdel Nasser, der inzwischen das Oberkommando der Streitkräfte übernommen hatte. Nasser hatte seine schmerzliche, unerträgliche Demütigung als junger Offizier erlebt, als die zahlenmäßig weit überlegene ägyptische Armee nach der Gründung des Staates Israel im Jahr 1948 von den kaum bewaffneten Milizen des Judenstaates zurückgeschlagen wurde. Er selbst wurde verwundet. Das Heer des Königs Faruk befand sich in einem erbärmlichen Zustand der Vernachlässigung. Mit veraltetem Material und unzureichender Munitionsversorgung war es überhaupt nicht kriegstauglich. Auf dem Schlachtfeld der Negev-Wüste, die die Israeli ­ihrem Staat einverleibten, fiel die Entscheidung zum großen Wandel, der Ägypten aus einer unwürdigen Operetten-Monarchie in eine strikte Militärdiktatur verwandeln sollte, ein Zustand, der bis auf den heutigen Tag andauert.
    General Nagib hatte die Ausweisung König Faruks mit höfischem Zeremoniell umgeben, ließ Salut schießen, als der gestürzte Monarch seine Luxusyacht bestieg, und verabschiedete sich in strammer Haltung. Von solchen ritterlichen Rücksichtnahmen war unter Nasser nicht mehr die Rede. Im Jahr 1956 war Kairo noch eine kosmopolitische Stadt. Aber schon spürte man die spröde Hand der Revolution. Gamal Abdel Nasser hatte Nationalismus und Sozia­lismus auf seine Fahne geschrieben. Die Ambitionen dieses hoch und kräftig gewachsenen Offiziers waren immens – panarabisch, panafrikanisch, sogar panislamisch, wenn er auch die konspirativen Zellen der Muslimbrüder unerbittlich zerschlug. Erst sehr viel später sollte man erkennen, daß dieser arabische Revolutionär – bei ­aller krampfhaften Verweigerung westlicher Vorherrschaft – widerwillig im Einflußbereich abendländischer Ideen-Anleihen verharrte. Sein ägyptischer und panarabischer Nationalismus war ohne die ­europäischen Denkschulen nicht zu erklären. Sein Sozialismus war – nolens volens – vom Vulgär-Marxismus geprägt. Am Ende sollte eine fortschrittlich schillernde Militärjunta stehen, ­deren privi­legierte Offiziere meist aus dem bescheidenen Klein­bürgertum stammtenund deshalb die feudalistische Schicht der ­Paschas und ­Effendis, vor allem auch die bislang allgegenwärtige Wafd-Partei ra­dikal bekämpften. Es wurde ein arabischer Sozialismus proklamiert, der sich die stürmische Industrialisierung des Niltals – befördert durch den Bau des Assuan-Staudamms und der Stahlwerke von ­Heluan – zum Ziel gesetzt hatte. 1956 schwärmte man in Kairo auch von der »Befreiungs-«, der »Tahrir-Provinz«, wo Kanäle in den Sand gezogen und moderne Siedlungen errichtet wurden. Die Schulen wurden nationalisiert und militarisiert. Die Frauen sollten im patriotischen Sinne emanzipiert werden. Daß die orientalische Mediokrität, der levantinische Schlendrian schließlich über diese lyrischen und sehr ehrbaren Ambitionen siegen würden, war damals noch nicht abzusehen und kann auch nicht dem Rais Nasser allein angelastet werden. Der Schlamm des Niltals ist zäh und klebrig. Das vieltausendjährige Land der Pharaonen zu revolutionieren und zu dynamisieren sollte sich als übermenschliche Aufgabe erweisen.
    Die rassischen und religiösen

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