Arabiens Stunde der Wahrheit
Nasser eine national und panarabisch ausgerichtete Machtübernahme vollzog, stellte das Âislamische Verfügungspotential der Ikhwan einen unberechenbaren Faktor, eine revolutionäre Urkraft dar, die sie zeitweise durch brutalen Zwang, zeitweise jedoch auch durch lockere Konzessionen in Zaum zu halten suchten.
Der gescheiterte Held
des Arabismus
Blicken wir auf den Sommer 1956 zurück, den Zeitpunkt meines ersten Kontaktes mit dem Land der Pharaonen. Vier Jahre zuvor, am 23. Juli 1952, war es zu jenem Militärputsch und zur Abschaffung der Monarchie gekommen, derer die Kairoten längst überdrüssig waren. Der grotesk verfettete König Faruk I., der sich nur noch seinen eigenen Gelüsten hingab und die Staatsgeschäfte anderen überlieÃ, hatte jedes Ansehen verloren. Nach einem kurzen Zwischenauftritt des väterlich wirkenden Generals Mohammed Nagib, der lediglich zwei Jahre als nomineller erster Präsident der Republikin Erscheinung trat, schlug die Stunde des eigentlichen Inspirators und Drahtziehers der »Freien Offiziere«, des Oberst ÂGamal Abdel Nasser, der inzwischen das Oberkommando der Streitkräfte übernommen hatte. Nasser hatte seine schmerzliche, unerträgliche Demütigung als junger Offizier erlebt, als die zahlenmäÃig weit überlegene ägyptische Armee nach der Gründung des Staates Israel im Jahr 1948 von den kaum bewaffneten Milizen des Judenstaates zurückgeschlagen wurde. Er selbst wurde verwundet. Das Heer des Königs Faruk befand sich in einem erbärmlichen Zustand der Vernachlässigung. Mit veraltetem Material und unzureichender Munitionsversorgung war es überhaupt nicht kriegstauglich. Auf dem Schlachtfeld der Negev-Wüste, die die Israeli Âihrem Staat einverleibten, fiel die Entscheidung zum groÃen Wandel, der Ãgypten aus einer unwürdigen Operetten-Monarchie in eine strikte Militärdiktatur verwandeln sollte, ein Zustand, der bis auf den heutigen Tag andauert.
General Nagib hatte die Ausweisung König Faruks mit höfischem Zeremoniell umgeben, lieà Salut schieÃen, als der gestürzte Monarch seine Luxusyacht bestieg, und verabschiedete sich in strammer Haltung. Von solchen ritterlichen Rücksichtnahmen war unter Nasser nicht mehr die Rede. Im Jahr 1956 war Kairo noch eine kosmopolitische Stadt. Aber schon spürte man die spröde Hand der Revolution. Gamal Abdel Nasser hatte Nationalismus und SoziaÂlismus auf seine Fahne geschrieben. Die Ambitionen dieses hoch und kräftig gewachsenen Offiziers waren immens â panarabisch, panafrikanisch, sogar panislamisch, wenn er auch die konspirativen Zellen der Muslimbrüder unerbittlich zerschlug. Erst sehr viel später sollte man erkennen, daà dieser arabische Revolutionär â bei Âaller krampfhaften Verweigerung westlicher Vorherrschaft â widerwillig im EinfluÃbereich abendländischer Ideen-Anleihen verharrte. Sein ägyptischer und panarabischer Nationalismus war ohne die Âeuropäischen Denkschulen nicht zu erklären. Sein Sozialismus war â nolens volens â vom Vulgär-Marxismus geprägt. Am Ende sollte eine fortschrittlich schillernde Militärjunta stehen, Âderen priviÂlegierte Offiziere meist aus dem bescheidenen KleinÂbürgertum stammtenund deshalb die feudalistische Schicht der ÂPaschas und ÂEffendis, vor allem auch die bislang allgegenwärtige Wafd-Partei raÂdikal bekämpften. Es wurde ein arabischer Sozialismus proklamiert, der sich die stürmische Industrialisierung des Niltals â befördert durch den Bau des Assuan-Staudamms und der Stahlwerke von ÂHeluan â zum Ziel gesetzt hatte. 1956 schwärmte man in Kairo auch von der »Befreiungs-«, der »Tahrir-Provinz«, wo Kanäle in den Sand gezogen und moderne Siedlungen errichtet wurden. Die Schulen wurden nationalisiert und militarisiert. Die Frauen sollten im patriotischen Sinne emanzipiert werden. Daà die orientalische Mediokrität, der levantinische Schlendrian schlieÃlich über diese lyrischen und sehr ehrbaren Ambitionen siegen würden, war damals noch nicht abzusehen und kann auch nicht dem Rais Nasser allein angelastet werden. Der Schlamm des Niltals ist zäh und klebrig. Das vieltausendjährige Land der Pharaonen zu revolutionieren und zu dynamisieren sollte sich als übermenschliche Aufgabe erweisen.
Die rassischen und religiösen
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