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Arabiens Stunde der Wahrheit

Arabiens Stunde der Wahrheit

Titel: Arabiens Stunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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Minderheiten von Kairo und Alexandria, die bisher über Einfluß und Macht verfügten, spürten seit dem Umsturz von 1952, daß ihre Zeit zu Ende ging. Es war irgendwie symbolisch, daß Gamal Abdel Nasser seine Brandrede zur ­Nationalisierung des Suezkanals in Alexandria hielt, in jener alten hellenistischen Gründung, deren Niedergang durch das Roman-Quartett des Engländers Lawrence Durrell mythologisiert und künstlerisch verdichtet wurde. Die Griechen, Juden, Armenier, ­Libanesen, Italiener, aber auch die ägyptischen Kopten im Niltal witterten mit dem Instinkt ewig bedrohter Minoritäten die ein­getretene Wandlung. Hinter den Parolen des arabischen Nationalismus – »Araber« war bisher fast ein Schimpfwort gewesen – verbarg sich eine islamische Rückbesinnung. Es war kein Platz mehr für Justine, für Balthasar und Nessim. Beinahe zwangsläufig endet bei Durrell der Lebensweg der schönen und extravaganten Jüdin Justine, der Gattin des reichen Kopten Nessim aus Alexandria, in einem klösterlich kargen Kibbutz des Staates Israel.
    Damals stand Kairo schon im Zeichen des Abschieds vom Okzident. Luxus und Dekadenz der Minoritäten waren noch überall sichtbar.Aber die blühenden ausländischen Kulturinstitute bangten um ihre Zukunft. Die christlichen Schulen sahen sich in ihrer Existenz bedroht, sobald es zur unausweichlichen Kraftprobe käme. Sogar das verruchte Kairoer Nachtleben war bereits vom islamisch-kleinbürgerlichen Puritanismus aufs Äußerste eingeengt. Mit Nostalgie erzählten alternde »Jouisseurs« von orgiastischen Festen, die einst auf den Wohnbooten am Nil veranstaltet wurden.
    *
    Es lohnt sich, der Person Gamal Abdel Nassers ein paar Zeilen zu widmen, denn er hat das Schicksal des Vorderen Orients – im Guten wie im Schlechten – bis auf den heutigen Tag geprägt. Im Frühjahr 1965 bot sich mir die Gelegenheit, ihm zu begegnen. Der »Rais«, wie man den Präsidenten von nun an nannte, litt weiterhin unter dem Trauma der kläglichen arabischen Niederlage bei der Gründung Israels. Die Bundesregierung unter Ludwig Erhard stand im Begriff, die längst fälligen diplomatischen Beziehungen mit dem Judenstaat aufzunehmen, aber Nasser versuchte, diese zusätzliche Aufwertung des »zionistischen Gebildes«, wie es damals in der Presse Kairos hieß, mit allen Mitteln zu verhindern, auch mit dem Abbruch des bislang freundschaftlichen Verhältnisses zu Bonn. Mit einem umfangreichen Redaktions- und Kamerateam war ich nach Kairo aufgebrochen. Man hoffte wohl im Auswärtigen Amt, den Rais in einem Fernsehinterview zu einer versöhnlichen Aussage zu bewegen. Aber mit einem solchen Einlenken war von Anfang an nicht zu rechnen.
    Nasser empfing uns in Heliopolis in einer relativ bescheidenen Villa. Er war kein Freund protziger Repräsentation und lebte nicht nur aus Sicherheitsgründen stets im Umkreis der Kasernen. Als ich dem massiven Mann gegenüberstand, spürte auch ich seine ma­gnetische Wirkung. Der Rais verkörperte das neue und das uralte Ägypten. Es war, als träte uns eine Wiedergeburt Pharaos entgegen. Seine Liebenswürdigkeit war verführerisch, aber daneben ging eine animalische Kraft von ihm aus.
    Ererinnerte an die mächtigen Tiergötter seines Landes, an den heiligen Stier, der im Schlamm des Nils für gute Ernte bürgte. Wenn er lächelte, drängte sich der Gedanke an jene heiligen Krokodile auf, denen höchste Verehrung gezollt wurde. Vom fernsten Maghreb bis zum Persischen Golf verfügte dieser ungewöhnliche Offizier über eine Ausstrahlung, die der eines Kalifen gleichkam. Was Gamal Abdel Nasser uns damals mitteilte – von seinem Berater Mohammed Hassanein Heikal sekundiert –, war nicht von besonderem Belang. Wichtig war nicht, was er sagte, sondern was er war. Er führte mit entwaffnender Miene eine ziemlich harte Sprache und drohte bei aller Höflichkeit mit scharfen Sanktionen, falls Bonn und Tel Aviv sich einigen sollten.
    Bevor ich mit den Filmrollen des Interviews im Gepäck nach Köln zurückflog, besuchte ich in Begleitung meines Freundes und Kollegen Müggenburg zu später Stunde den deutschen Raketenspezialisten Professor Pilz in seiner Wohnung am Rande Kairos. Pilz war dem Ruf der Ägypter gefolgt und bastelte mit unzureichenden technischen Mitteln am Bau von Trägerwaffen,

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