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Arabiens Stunde der Wahrheit

Arabiens Stunde der Wahrheit

Titel: Arabiens Stunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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vorgetragen und sei natürlich ins Land gelassen worden. Ähnlich sei es Yehudi Menuhin ergangen, obwohl der Jude sei und auch keine Papiere besaß. Er habe gefiedelt, und dann habe man ihm die Grenzformalitäten erleichtert. ›Wenn du Präsident Mubarak bist‹, so fuhr der Beamte fort, ›so zeige auch du, was du kannst, und wir lassen dich durch.‹ – Der Rais überlegte eine Weile. ›Ich kann überhaupt nichts‹, sagte er dann ­resigniert. – Der Polizist machte das Gitter weit auf. ›Willkommen in der Heimat!‹ rief er aus. ›Jetzt hast du tatsächlich bewiesen, daß du Hosni Mubarak bist.‹«
    Auch in Ägypten wächst der Mensch offenbar mit seinen höheren Zwecken, und ein Fliegergeneral sollte über einige Fähigkeiten verfügen. In seiner ersten öffentlichen Erklärung hatte er die Prinzipien seiner Regierung bekanntgegeben: Unwiderrufbarkeit des Friedensvertrages mit Israel, Reform der Wirtschaft, Kampf gegen Korruption und religiösen Fanatismus. Mubarak hatte seine Pilotenausbildung in Frunse – heute Bischkek – in der zentralasiatischen Sowjetrepublik Kirgistan abgeschlossen, aber das hinderte ihnnicht, seine Diplomatie auf eine enge Verbindung mit den USA auszurichten. Nach Israel war Ägypten der Staat, dem die höch­sten Subventionen aus Washington zuflossen. Diese Milliardensummen wurden im wesentlichen für den Aufbau der Streitkräfte und das Wohlergehen des hohen Offizierskorps verwendet.
    Im Zeichen einer weitgehenden Privatisierung der Wirtschaft, Infitah genannt, konnte von der verheißenen Bekämpfung der Bestechlichkeit nicht mehr die Rede sein. Gegenüber der Muslimbruderschaft, die der offiziellen, durch Wahlbetrug zur dominierenden politischen Bewegung beförderten »National-Demokratischen Partei« des Rais als einzige dynamische Kraft hätte entgegentreten können, hielt Mubarak an der von Anwar es-Sadat praktizierten Duldung fest, ohne sie jedoch als Partei zuzulassen.
    Seit der Ermordung ihres Gründers Hassan el-Banna und der Hinrichtung ihres Chef-Ideologen Sayyid Qutb hatte bei den Ikhwan ein Prozeß der Mäßigung und der politischen Verantwortlichkeit eingesetzt. Ihre Führungsgremien distanzierten sich ­ener­gisch von den extremistischen Terrorgruppen, darunter die ­»Gamat el-Islamiya«, deren Mordanschlag Mubarak bei einem Kongreß in Addis Abeba nur knapp entronnen war. Ob der Präsident tatsächlich den sagenhaften persönlichen Reichtum angehäuft hat, den ihm die erregten Reformer von Tahrir-Platz zum Vorwurf machten, ist nicht voll erwiesen. Sicher ist, daß sein Familienclan sich auf skandalöse Weise schadlos hielt. Persönlich habe ich den Rais bei einem Staatsbesuch in Hamburg kennengelernt, wo ich im Rathaus bei Tisch neben ihm saß. Ich gewann den Eindruck eines soliden, unprätentiösen, soldatisch und etwas borniert wirkenden Mannes. Unsympathisch war er nicht. Aber selbst Saddam Hussein soll einst fähig gewesen sein, einen gewissen Charme zu ent­wickeln.
    Was mich an den Forderungen der jungen ägyptischen Revolutionäre störte, war ihre leidenschaftliche Rachsucht gegen die Unterdrücker von gestern, ihr Wunsch, die Verantwortlichen für die blutige Polizei-Repression, aber auch ihre prominenten Gegner – Mubarak an der Spitze – am Galgen oder vor dem Hinrichtungs-Pelotonzu sehen. Pragmatische Vorschläge jedoch, die Ägypten aus seiner wirtschaftlichen Misere, einer zunehmenden Krimina­lität und religiösen Spannungen heraushelfen könnten, standen dem durch den Hohen Militärrat eingesetzten Ministerpräsidenten Essam Sharaf nicht zur Verfügung. Auch den Veteranen der verdienstvollen Wafd-Bewegung oder dem Vorsitzenden der liberalen Ghad-Partei fiel kein Erneuerungsplan ein. Nach den ersten Enttäuschungen, die sich sehr bald einstellten, war bei den Ei­ferern von Tahrir bereits die Forderung nach einer zweiten revo­lutionären Welle laut geworden. Schon richteten sich massive ­Vorwürfe gegen den Feldmarschall Tantawi, der angeblich nicht zulassen wollte, die Macht der Armee durch ein parlamentarisches Zufallssystem beeinträchtigen zu lassen. Es wäre verfrüht, eine Prognose über die Austarierung der widerstreitenden Tendenzen, der wirren Vielzahl neu gegründeter Parteien und über den Unmut des

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