Arabische Nächte
Doch die Gesellschaft forderte einen hohen Tribut. Überall lauerten Fallen, von denen sich viele ganz willkürlich auftaten; sie war zu arglos, als dass sie nicht den einen oder anderen Faux pas beging.
Eigentlich brauchte sie den Segen der Gesellschaft nicht, um in ihr Zuhause nach Bushire zurückzukehren und das Leben wieder aufzunehmen, das sie vor ihrem schicksalhaften Besuch in Bagdad geführt hatte. Ein Skandal wäre nur dann zu befürchten, wenn eine verzerrte Enthüllung drohte. Da aber Laurel sie ja bereits bloßgestellt hatte, konnte auch Jamies Existenz sie nicht mehr in Verlegenheit bringen. Ihre alten Nachbarn würden zwar reden und verwundert Mutmaßungen anstellen, wenn sie mit einem Kind in den Armen heimkehrte; wer aber würde es wagen, sie offen nach Jamies Vater auszufragen? Niemand! Und mit der Zeit würde irgendetwas - vermutlich das Pech eines anderen - neue Nahrung für Unterhaltung und Nervenkitzel liefern. Sie konnte sich wieder ihre Kenntnisse der Heilkräuter beruflich zu Nutze machen; schließlich hatte sie keine Bedenken, die Ärmel hochzukrempeln und sich ins Geschäftsleben zu stürzen - wie seinerzeit ihre ganze Familie.
Und Jamie würde es, wie ihr, trotz seiner unkonventionellen Herkunft an nichts mangeln. Sie hatte es gar nicht nötig, die beträchtlichen Mittel, die ihr Vater ihr hinterlassen hatte, anzutasten. Bis Jamie erwachsen war, würde er ein blühendes Unternehmen erben. Eine Krone war es zwar nicht, doch diese hatte sie sich für ihn auch niemals gewünscht. Sie und Aggie würden ihm als Familie genügen. Wenn die beiden nur endlich in England ankämen!
Sie registrierte, dass in einiger Entfernung eine Reisekutsche vorüberfuhr, und merkte erst nach einer Weile, dass sie direkt auf Croesus Hall zuhielt. Aber erst als sie das Horn des Postillions hörte, mit dem er die Ankunft verkündete, begriff sie, dass Besuch nahte.
Japonica sprang auf, wider alle Vernunft hoffend, es möge Aggie sein, die ihr Jamie brachte. Dann erst sah sie, dass das Gefährt keine Postkutsche oder einer der regelmäßigen Ü berlandtransporte war. Die bunten Farben der Pferdegeschirre und das kontrastierende Fahrgestell waren deutlich zu erkennen, als die Kutsche um die letzte Biegung kam und die Auffahrt entlangrollte. Es handelte sich um eine Privatequipage, auf deren Wagenschlag ein Wappen prangte. Als das Gefährt vor dem Haupteingang anhielt, eilte sie über den Rasen.
Sie hatte kaum Zeit, zu Atem zu kommen, ehe der Postillion die Kutschentür öffnete. Die Dame, die ausstieg, trug über einem smaragdgrünen Kleid einen langen pelzgefütterten Seidenmantel in Scharlachrot. Auf ihrem grünroten Reisehut aus grünrotem Velours wippten riesige weiße Reiherfedern.
»Lady Simms«, begrüßte Japonica sie mit einer Miene, die keineswegs helles Entzücken ausdrückte. »Das nenne ich aber eine Überraschung.«
»Ich ebenso!« Lady Simms blickte zur Fassade von Croesus Hall auf. »Himmel! Das alte Gemäuer verändert sich nie. Immer wenn ich komme, erwarte ich, dass Cromwell und seine Truppen sich auf mich stürzen und mir den Kopf abhacken. Sie werden Licht in das Haus bringen müssen, Lady Abbott! Ich kenne den richtigen Architekten, ein Protege von Adam. Zwar wird Devlyn hier kaum das ganze Jahr verbringen wollen; Sie aber werden feststellen, dass die Veränderungen, die dieser Bursche vorschlägt, weiblichem Stilgefühl sehr entsprechen.«
Japonica ließ sich vom Geplauder der Dame berieseln, bis ihr Gast Atem holen musste und sie einwerfen konnte: »Lady Simms, es tut mir Leid, aber Sinclair ist nicht anwesend. Er befindet sich in Frankreich.«
»In Frankreich? Das wäre völlig absurd. Habe ich nicht erst gestern einen Brief von seiner Hand erhalten, in dem er mich ersucht, noch heute zu kommen und mich mit ihm auf Croesus Hall zu treffen? Hier bin ich nun. Aber Sie sind blass, mein Kind. Was gibt es?«
»Nichts«, sagte Japoncia matt. »Nur hatte ich einen so illustren Gast nicht erwartet.« Devlyn zurück? Und er wollte kommen? »Sind Sie sicher, dass er heute erwartet wird?«
Lady Simms sah ihre Gastgeberin hochnäsig an. »Nur weil ich Federn am Hut trage, bin ich keine Gans!« Sofort erbarmte sie sich jedoch. »An Ihrer Stelle wäre ich auch außer mir, wenn ich unvermutet Gäste bekäme. Aber nun ist es einmal Fakt, und wir werden das Beste daraus machen! Ich wäre selbst auf Dev böse, hätte sein Brief mir nicht einen Vorwand geliefert, mich von der Verwandtschaft meines
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