Arabische Nächte
konnte er so glücklich sein? Natürlich wusste er noch nicht, dass sie im Eingang stand. Wahrscheinlich glaubte er, sie hätte aus Angst vor ihm die Flucht ergriffen. Vielleicht hoffte er, sie hätte sich in die Themse gestürzt und ihrer lästigen Existenz, die ihm nichts bedeutete, ein Ende bereitet.
Sie spürte, wie ihre Welt ins Wanken geriet und der Wahnsinn, von dem sie oft recht leichtsinnig gesprochen hatte, sie nun allmählich doch erfasste. Denn er hatte sich umgedreht und griff in die Kutschentür - als er sich ihr wieder zuwandte, hielt er ein heftig strampelndes Bündel in den Armen.
»Nein!«, flüsterte sie. Sie hob die Hand, wie um das Bild auszulöschen, doch konnte sie ihren Blick nicht abwenden. Wie die Sünder auf Darstellungen des Jüngsten Gerichts wurde sie von unerklärlichem Entsetzen getrieben, die Bestätigung ihrer eigenen Verdammnis anzuschauen. Der Wind erfasste den oberen Rand der Decke und enthüllte das Engelsgesicht ihres Sohnes.
Das Allerletzte, was Devlyn beim Betreten seines Ahnensitzes anzutreffen erwartete, war Japonica Abbott ohnmächtig auf dem Teppich der Eingangshalle! Sein Erstaunen währte nicht lange. Er konnte sich denken, was geschehen war und warum. Sich verwünschend, weil er den Moment nicht besser gewählt hatte, drückte er dem erschrockenen Bersham seinen Sohn in die Arme und kniete auf dem Teppich neben ihr nieder.
Soeben hatte er den reglosen Körper hochgehoben und den Kopf an seine Schulter gebettet, als Jamie vor Schreck zu brüllen anfing.
»Lassen Sie ihn auf den Schultern reiten, Mann!«, befahl Devlyn ohne einen Blick zurück.
Er bemerkte ein Dutzend Erfreulichkeiten an ihr, als er sie an seiner Brust barg. Ihre seidenglatte Wange war allerdings eiskalt. Doch wie warm und weich fühlte sich ihr Gewicht an, so natürlich und gut, dass er nicht widerstehen konnte und sie fester umarmte, als unbedingt nötig war, um sie aufrecht zu halten. Sie roch noch immer nach ihrem köstlichen Parfüm, das trotz der ungünstigen Situation sein Begehren weckte. Nichts hätte er lieber getan, als sie an einen Ort zu tragen, wo sie ungestört waren und er sie wachküssen und immer weiter küssen konnte - bis zwischen ihnen jede Frage geklärt war und jede Verletzung mit Liebkosungen geheilt. Aber das durfte nicht sein.
Als er sich über Japonica beugte, zog das Geplärr des Kindes Leute aus allen Richtungen an ... unter ihnen seine eigene Tante.
Lady Simms segelte mit einem Glas Sherry in der einen und einem Keks in der anderen Hand in die Halle. Beim Anblick der Szene - den Butler mit dem Kind in den Armen, Devlyn auf den Knien neben Japonica - hielt sie jäh inne.
»Dev, mein lieber Junge. Was soll das? Und wer ist dieser heulende Bengel?«
Strahlend blickte Devlyn zu ihr auf. »Lady Simms, gestatten Sie, dass ich Ihnen James Michael Abbott, meinen Sohn, vorstelle.«
»Deinen Sohn?« Lady Simms' Verwunderung erhellte ihr ganzes Gesicht, als sie von dem weinenden Kind zu der Dame, die zu ihren Füßen lag, und zurück zu Devlyn blickte. »Du bist ein Narr und ein Schuft durch und durch!«
Sie hob ihr Glas und schüttete ihm den Inhalt ins Gesicht.
Ein Teil des Sherrys ergoss sich über Japonicas Stirn und weckte sie. Ein paar bewusstlose Sekunden lag sie blinzelnd da und starrte in das verschattete Gesicht des Mannes, dem sie nie wieder zu begegnen gehofft hatte. Und dann fiel ihr ein, warum er hier war. Er hatte Jamie gebracht!
Eine Woge der Panik, von purem Mutterinstinkt beflügelt, ließ sie nach seinem Rockaufschlag greifen. »Du kriegst ihn nicht! Jamie gehört mir!«
»Du hältst ihn zu fest«, mahnte Aggie, als Jamie unruhig auf dem Schoß seiner Mutter zu zappeln begann.
»Mir einerlei«, gab Japonica zurück, versuchte aber, dem Freiheitsdrang ihres Sohnes stattzugeben. »Ich werde ihn vielleicht nie wieder loslassen.«
»Ach, das kommt ganz von allein.« Aggie, die frische Sachen für das Kind vorbereitete, verzog die Mundwinkel. Sie hatten die Kammer neben dem Schlafgemach bezogen, die Aggie und der Amme genügend Platz bot. Jamie schlief in der Wiege neben seiner Mutter. In den zwei Tagen seit seiner Ankunft hatten sie sich abgekapselt, als gäbe es den Rest der Welt nicht mehr; doch war beiden Frauen sehr wohl bewusst, dass es ihn gab. Lord Sinclair tauchte täglich dreimal an der Tür auf und holte sich immer eine Abfuhr. Und mit jedem Mal spürten sie in seinem Ton wachsenden Zorn, der anzeigte, dass er bald in Eruptionen ausbrechen
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