Arabische Nächte
herzhaften Mahls unterhalten konnte.
»Erst wollte er den Titel nicht! Und jetzt will sie den Titel nicht!«
Nie hätte er gedacht, dass es auf der ganzen Welt einen Mensehen gäbe, der freiwillig auf einen Adelstitel verzichtete. Aber heute war er sogar zweien begegnet.
»Außer Landes gehen, das ist es, was beide wollen!« Er trank den Göttern zu, die auch diesem Tag ein Ende bereiten würden. »Aristokraten! Kein Sitzfleisch und total verrückt, allesamt!«
Japonica saß in Mr. Simmons' Privatkutsche, die er ihr angeboten hatte, als es sich zeigte, dass die Mädchen sich mit der Familienkarosse davongemacht hatten. Sie selbst hatte diese Unverschämtheit nur am Rande registriert, da Mr. Simmons' letzte und schockierende Enthüllung ihr noch in den Ohren klang.
»Heiratet eine Schwester, kann sie die Vormundschaft für die anderen übernehmen. Es ist die einzige Bestimmung in dem Nachtrag, die Sie von Ihrer Verpflichtung erlöst, Mylady! Obwohl ich nicht annehme ...«
»Ich auch nicht«, murmelte Japonica. Hyacinthe als Braut? Sie schüttelte den Kopf. Und Laurel? Vielleicht, wenn man sie ...
Nein, das würde nichts nützen. »Es gibt also keine andere Möglichkeit, mich dieser Verpflichtung zu entbinden?«
Der Anwalt schüttelte den Kopf. »Kurz gesagt, die Sache ist amtlich, falls Sie sich nicht entschließen, England zu verlassen. In diesem Fall würden Sie nämlich jedes Anrecht auf den Witwenpflichtteil verlieren.«
Bis zu diesem Resümee hatten Mr. Simmons' gemessene Ausführungen ihr Anlass zu Freude geboten, da ihr verstorbener Gatte ihr, wie versprochen, das Fortnom-Vermögen, ihre Mitgift, gelassen hatte. Sie war also frei und konnte tun, was sie wollte. Weder den Witwenpflichtteil noch den Titel Viscountess brauchte sie. Ihre Freiheit hatte nur einen kleinen Makel. Verließ sie England wie geplant, würden die Shrewsbury-Blümchen mittellos und ohne Dach über dem Kopf dastehen.
»Etwas anderes verdienen sie nicht!«
Dieser kleinliche Gedanke verging, kaum dass er zu Ende gedacht war. Die Lage der Schwestern war ernster, als sie angenommen hatte. Uber den Witwenpflichtteil konnte sie nur verfügen, wenn sie in England blieb. Verließ sie die Mädchen, würden sie alles verlieren. Und was eine Heirat betraf ... Alyssum war die Meistversprechende; doch würde es Monate dauern, diese Dinge zu arrangieren, falls sie sich denn arrangieren ließen.
So lange konnte sie die Trennung von Jamie nicht ertragen. Die Sehnsucht nach ihrem Sohn drückte ihr schwer aufs Herz. Nein, lange würde sie nicht mehr in England ausharren. Blieb nur die Frage - was sollte sie guten Gewissens als Nächstes tun?
Sie wandte ihre Aufmerksamkeit der Stadt zu, die langsam am Kutschenfenster vorüberzog. Der Straßenlärm, ein Gemisch aus menschlichen Stimmen, Räderrollen und Hufschlag auf Kopfsteinpflaster, war geradezu überwältigend, die Luft so rauchig wie in einem großen Raum, in dem der Kamin nicht zog. Selbst am Mittag blieb die Sonne unsichtbar, sodass das Gewirr geschäftiger, schmutziger Straßen in ständiger Düsternis lag. Das also war London.
Seufzend wandte sie den Blick ab. Sie musste fort. Es war ihr gutes Recht. Generationen von Shrewsburys hatten sich mit den unfairen Bestimmungen des Testaments abgefunden und es irgendwie überlebt. Wer war sie, dass sie dagegen protestierte? Jamie und Aggie warteten in Lissabon. Ach, wie sehr sie ihr Söhnchen vermisste! Nur ihr Gefühl für Pflicht und Anstand hatte sie bewogen, sich von ihm zu trennen. Wie lange würde es dauern, bis Aggies Antwort auf ihre Briefe käme? Sie wusste nicht, wie es dem Kleinen ging, ob er brav aß, ob er zunahm, ob er zahnte. Lord Wellington hatte doch in Aussicht gestellt ...!
»Ach!« Plötzlich beugte sie sich vor und schob das Fenster auf. Es gab etwas, das sie unternehmen konnte, während sie ihre weitere Vorgehensweise austüftelte. Sie hatte versprochen, Proviant in das vom Krieg geschüttelte Lissabon zu schicken. In ihrer Tasche befand sich eine lange Liste mit den Wünschen von Wellingtons Offizieren, von Kerzen und Seife angefangen bis zu Butter und Käse.
Sie klopfte gegen das Wagendach und rief dem Kutscher zu: »Fortnum und Mason am Piccadilly!«
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»Wie liebenswürdig, dass Sie mich zum Wagen begleiten, Mr. Fortnum!«
»Keine Ursache ... immerhin hat meine >indische< Kusine den ganzen weiten Weg nicht gescheut, uns zu besuchen.« Richard Fortnum, Urenkel William Fortnums, des Gründers von
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