ARALORN - Der Verrat (German Edition)
Wangen vor ihrem Mahl saß.
»Ich machte mich schon bereit für ihre mögliche Errettung, als ich begriff, dass sie lediglich einen der Händler anbrüllte.« Er räusperte sich und wechselte von seiner dunklen Stimme in einen quiekenden Sopran. »Drei Gänse, hab ich gesagt! Ich brauche drei. Ich will keine vier, keine zwei – ich brauche genau drei! Und es ist mir auch herzlich egal, ob das Pärchen sind oder nicht. Ich will sie essen, nicht mit ihnen züchten.« Falhart lachte.
Aralorn war zu müde, um sich am üblichen Familientratsch zu beteiligen, und wandte sich ihrem Teller zu. Die Gerüche und Stimmen ihrer Angehörigen waren irgendwie intensiver als sonst, aber auch sehr wohltuend.
Mithilfe der Magie, an der sie tagsüber mit Halven gearbeitet hatte, inspizierte sie ihre Geschwister. Sie hatte schon früher gelegentlich ihre Magie dazu eingesetzt, tief in eine Person hineinzuschauen, doch nie für länger als ein paar Sekunden.
Es war eine seltsame Erfahrung, wie ihre Sinne das, was ihr die Magie mitteilte, manchmal in Farben wiedergaben. Falhart wurde von einer Aura aus sattem Braun umgeben. Irrenna von melodischen Klängen, klar und wunderschön. Und auch wenn er am äußersten Ende der Tafel saß, konnte Aralorn spüren, wie Gerems Magie ungeduldig flackerte, ja, auf ihrer Haut vibrierte wie der Flügelschlag von Motten. Sie stellte das gleiche Phänomen auch bei einem der Kinder fest – es war ein kleines Mädchen im Krabbelalter. Sie würde es seinem Vater sagen müssen … Ihr Kopf ruckte herum, und sie stellte fest, dass Nevyn sie anstarrte.
Mit aufgerissenen Augen erlebte sie, was Halven gemeint hatte, als er sagte, Nevyn sei gebrochen und aufs Schändlichste verbogen worden. Sie hatte keinerlei Erfahrung, das, was sie erblickte, genauer zu interpretieren, aber es war, als sähe man einen vom Blitz gespaltenen Baum. Und als der Gedanke sich in ihrem Hirn manifestierte, hatte sie den Eindruck, als habe ein Illusionist eben dieses Bild über Nevyns menschliche Gestalt gelegt. Die eine Seite des Baums versuchte verzweifelt, sich von dem Einschlag zu erholen, aber die meisten Zweige waren bereits verkümmert und die Blattränder zu einem ungesunden Grau verfärbt. Die andere Seite indes war hoffnungslos schwarz und verbrannt.
Nevyn wandte den Blick ab, aber die Vision blieb. Plötzlich gruben sich scharfe Zähne in ihren Handrücken, und Aralorn senkte den Kopf. Wolf, der unter dem Tisch lag, glühte hell wie ein Blitzstrahl. Benommen klimperte sie ein paarmal mit den Augenlidern, doch das Bild des hell leuchtenden Wolfs klebte auf ihrer Netzhaut.
Wolf knurrte. Aralorn holte tief Luft und setzte ihre Magie aus.
»Du bist still heute Abend«, raunte ihr Correy ins Ohr. »Bist du in Sachen Vater ein bisschen weitergekommen?«
Er sprach im Plauderton, also hatte er wohl nicht bemerkt, was sie eben getan hatte.
»Ja, es gibt Hoffnung«, erwiderte sie so ungekünstelt wie möglich.
»Weißt du schon, wer dahinterstecken könnte?«, fragte Freya.
Misstrauisch blickte Aralorn zu ihrer Schwägerin, doch sie sah nichts weiter als Freyas altbekannte Miene.
Aralorn zuckte die Schultern, und weil sie noch immer völlig ergriffen war von dem, was sie gerade gesehen hatte, sagte sie mehr, als sie eigentlich wollte: »Ich denke schon, aber er ist mittlerweile tot – insofern nützt es uns nicht viel, seine Identität zu kennen.«
»Wer?«, fragte Irrenna vom Kopfende des Tisches mit schneidender Stimme.
Aralorn ließ Messer und Gabel sinken. »Niemand. Es wäre schlecht, zum jetzigen Zeitpunkt jemanden zu verdächtigen. Wenn ich mir meiner Sache sicher bin, werde ich es euch wissen lassen. Versprochen.«
Irrenna sah sie einen Moment lang skeptisch an, dann nickte sie. »Ich werde dich daran erinnern.«
11
Die Feste lag dunkel und still zur frühen Morgenstunde, zu der sie ihr Treffen anberaumt hatten. Sie und Wolf betraten das Aufbahrungszimmer schon bei Sonnenaufgang, weil sie ohnehin vor Nervosität nicht mehr hatte schlafen können. Die Wachen waren mittlerweile daran gewöhnt, dass sie zu unmöglichen Zeiten kam und ging, obwohl der Mann, der diesen Morgen an dem Eingang Dienst tat, sie merkwürdig anschaute. Kein Wunder, sie trug in einem Weidenkorb eine Henne bei sich, die sie im burgeigenen Hühnerstall gestohlen hatte.
Wolf hatte gemeint, er würde sie eventuell brauchen, wenn er beschloss, den Zauber gleich an Ort und Stelle zu brechen. Andererseits hatte Wolf das aufgeregt flüchtende
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