ARALORN - Der Verrat (German Edition)
auf der Fährte. Ja, auch er hatte Träume gehabt.
Kisrah fuhr fort. »Geoffrey erschien, als ich schlief, und setzte sich ans Fußende meines Bettes – so, wie er’s immer getan hatte.«
»›Mein Freund‹, sagte er. ›Ich weiß nicht, an wen ich mich sonst wenden soll. Ich benötige Zugriff auf deine Magie.‹
Das überraschte mich sehr, denn er war ja der größte Magier, den ich je gesehen hatte.
›Einen Zauber?‹, fragte ich. ›Kannst du ihn denn nicht selbst wirken?‹
Er schüttelte tadelnd den Kopf, dann schenkte er mir das Grinsen, das er immer einsetzte, wenn ich mich besonders stur zeigte. ›Tote können keine Zauber wirken, Sohn‹, sagte er.
Ich erwachte schweißüberströmt wie ein verängstigtes Pferd, aber in meinem Zimmer war nichts, was nicht auch vor dem Zubettgehen schon da gewesen war. Erst dachte ich, es war einfach ein Traum. Doch ich hatte nicht bedacht, was Geoffrey war.«
»Ein Traumwandler«, sagte Nevyn leise.
Kisrah nickte. »So ist es.« Er sah zu Gerem hinüber. »Weißt du, was Traumwandeln ist?«
»Ja«, erwiderte Gerem. »Nevyn macht das.«
Nevyn ist auch ein Traumwandler? , dachte Aralorn.
»Genau«, meinte Kisrah. »Es gibt eine Reihe Magier, die das Traumwandeln in seinen elementarsten Grundlagen beherrschen – es wird Fernträumen genannt. Beim Fernträumen kann der Magier seinen Geist von seinem Körper lösen und von diesem fortbewegen, für gewöhnlich nicht weiter als ein, zwei Meilen. Das Traumwandeln hingegen ist viel mächtiger und auch seltener. Nevyn und Geoffrey sind die beiden einzigen Magier, die ich kennengelernt habe, die ihren Geist an jeden beliebigen Ort schicken können. Im Allgemeinen kann ein Traumwandler die stoffliche Welt nicht beeinflussen, also zum Beispiel Tische oder Stühle bewegen. Ich sage im Allgemeinen, weil die besseren Traumwandler durchaus in der Lage waren, das eine oder andere Möbelstück zu verrücken.«
»Oder ein Messer«, setzte Wolf trocken hinzu.
Kisrah nickte. »Oder das. Auch kann ein Traumwandler in seiner Geistform keine Magie wirken. Was er allerdings kann, ist Schauen und Zuhören, wobei die betreffenden Personen nicht bemerken, dass sie beobachtet werden. Und obwohl er nicht auf herkömmliche Weise sprechen kann, ist er doch in der Lage, in einer Art zu kommunizieren, die sich Traumflüstern nennt.«
»Wie ein Geistflüsterer?«, fragte Gerem.
Kisrah nickte. »Nur besser. Ein Geistflüsterer kann nur von einem anderen Geistflüsterer wahrgenommen werden. Ein Traumflüsterer kann zu jeder beliebigen Person sprechen.«
Aralorn erinnerte sich an ein Gespräch, das sie mal belauscht hatte, und fragte sich, ob der Traumwandler Geoffrey gewusst hatte, dass sie zuhörte.
»Zu jeder beliebigen Person?«, hakte Gerem nach. »Ich dachte, wenn ein Zauberer zum Schüler wird, schützen die Meisterzauber all seine Träume.«
»Das stimmt«, sagte Kisrah mit einem nur schwachen Lächeln. »Kluger Junge. Ja, die Meisterzauber schirmen junge Zauberer bis zu einem gewissen Grad ab. Und es gibt auch andere Möglichkeiten, sich zu schützen. Ein Traumwandler kann eine schutzlose Person im Traum manipulieren. Unethisch, vielleicht, aber Traumflüstern ist zunächst einmal nicht manipulativer als ein ganz normales Gespräch.«
Ja , dachte Aralorn, als sie sah, dass Gerem nun sehr viel erleichterter wirkte, kein Grund, sich schuldig zu fühlen. Du hattest ja keinen Schutz vor der Beeinflussung durch den Traumwandler. Kisrah und Nevyn hatten genau gewusst, was sie taten – und mit wem sie es taten.
Laut fragte sie: »Ist zum Traumwandeln denn unbedingt Magie nötig, oder gibt es auch unter Nichtmagiern Traumwandler?«
»Traumwandeln ist eine Magiefähigkeit, wie Teleportation oder Illusion. Geoffrey sagte mal –« Kisrah stockte, »wenn der Körper eines Traumwandlers während seiner Reise stirbt, kann sein Geist zurückbleiben. Wie eine Spukgestalt, aber mit dem vollständigen Bewusstsein desjenigen, der er einmal war. Das erklärte er mir bei seinem zweiten Besuch. Und dann erzählte er mir auch, wie er starb.« Kisrah sah Wolf an, der dem Blick ausdruckslos standhielt.
»Er sagte mir, Ihr wäret zurückgekommen, weil Ihr erfahren hättet, dass er nach Euch sucht. Er sagte, dass ihr euch über Eure Anwendung schwarzer Magie gestritten hättet. Und dass er schließlich die Meisterzauber dazu eingesetzt hätte, Eure Fähigkeiten zu unterdrücken.« Ohne seinen Blick von Wolf abzuwenden, fuhr Kisrah fort: »Das ist eine
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