ARALORN - Der Verrat (German Edition)
vorstieß und ein Manöver ausführen wollte, das sie geschickt abfälschte, hieb sie ihm in der nächsten Sekunde mit der Spitze ihres Stocks direkt aufs Brustbein. Der Schlag hinterließ eine ähnlich große Prellung wie die an ihren Rippen. »Zwei.«
Er grunzte wütend und drehte sich im Kreis. Sie streckte ihm die Zunge heraus, und er verzog das Gesicht.
»Am Abend, bevor sich der Mörder sein fünfzehntes Opfer suchen würde«, fuhr sie fort, »nahm sich Anslow jede Nachricht vor, die der Mann ihm je geschickt hatte, und versuchte ein Muster in ihnen zu entdecken. Er kam zu dem Schluss, dass er den Mörder womöglich kannte, weil die Botschaften einige Bezüge privater Natur enthielten. Dinge, die nur Anslow hätten bekannt sein sollen.«
Sie unterbrach sich, weil Falhart gerade eine Reihe von Angriffen gestartet hatte, die ihre ganze Konzentration erforderten. Am Ende gelang es ihm, ihren Stock so hart zu treffen, dass er in zwei Stücke zerbrach. Sie schaffte es, die Attacke noch ein wenig abzufedern, doch sie konnte nicht verhindern, dass er sie abermals in die Rippen stieß.
»Zwei«, sagte er.
Mit den Resten ihres Kampfstocks sprang sie unversehens vor und stieß ihm das eine Ende sanft in den Bauch. »Drei – gewonnen.«
Aus dem Publikum war lautes Gemurmel zu hören, bevor dort die Münzen ihre Besitzer wechselten. Grinsend stützte sich Falhart auf seinen Stab.
»So, und jetzt erzähl mir das Ende der Geschichte«, verlangte er schwer atmend von ihr.
Aralorn setzte sich auf den Boden, doch die Kälte jagte sie schon im nächsten Moment wieder hoch. »Die Geschichte von Anslow? Hm, wo war ich stehen geblieben?«
»Er hatte die Nachrichten des Mörders vor sich liegen.«
»Ach ja. Die Nachrichten. Er legte sie also auf seinem Schreibtisch in die richtige zeitliche Reihenfolge – beginnend mit der ältesten bis hin zur letzten. Er hatte schon früher festgestellt, dass die Handschrift des Mörders seiner eigenen recht ähnlich sah, doch es war der letzte Brief, der ihn am meisten beunruhigte. Die Hand des Mörders hatte beim Schreiben offenbar gezittert; die Buchstaben waren nicht mehr schwungvoll geformt, die Tinte nicht mehr gleichmäßig auf dem Papier verteilt. Das war schrecklich, denn erst kürzlich hatte Anslow bemerkt, dass auch er beim Schreiben zitterte. Er selbst war also der lange gesuchte Mörder.«
Mit dem zerbrochenen Ende ihres Stocks zog sie versonnen Muster in den Dreck zu ihren Füßen.
Falhart runzelte die Stirn. »Aber wie konnte er ein mehrfacher Mörder sein und nichts davon bemerken?«
Aralorn betrachtete ihren zerbrochenen Stab, als berge er die Geheimnisse des Kosmos. »Es gibt eine seltene Krankheit des Geistes, bei der ein Individuum zu zwei Persönlichkeiten wird, die denselben Körper bewohnen. Da formt sich im Geheimen ein Schatten, der alles beobachtet, was die erste Person tut, und alles weiß, was sie weiß. Aber die erste Person hat keine Ahnung davon, was der Schatten tut, wenn er den Körper beherrscht.« Sie warf das Bruchstück ihres Stabs in die Luft und fing es wieder auf.
»Merkwürdig«, meinte Falhart kopfschüttelnd.
Correy kam auf sie zu, ergriff Aralorns Hand und legte sechs Kupferstücke hinein, während er zu Falhart sagte: »Danke für den Wink, Hart. Ich hatte eine Zehn-zu-eins-Gewinnchance. Zuerst nur Sechs-zu-eins, aber dann haben sie dich und deinen männlichen Körper neben diesem Zwerg hier bewundern dürfen. Ich denke, du kannst dich jetzt wieder anziehen.«
Wolf starrte auf die Folianten in den Bücherregalen und strich zärtlich über die Buchrücken. Noch nahm er keins heraus, das konnte warten. Er wusste, in welchem die Information stand, die er benötigte. Aber er wusste auch, was der Zauber kosten würde, wusste es, seit Kisrah ihm erzählt hatte, dass er einen Uriah hatte töten müssen, um seinen Zauber zu kreieren. Obwohl er bis zuletzt gehofft und sich jede Einzelheit hatte erklären lassen, die nötig gewesen war, um den Löwen unter den Bannzauber zu stellen. Da hatte er gewusst, dass sein Vater am Ende doch gesiegt und ihn zerstört hatte.
Ein Mensch war gestorben, um den Zauber, den drei Magier erschaffen hatten, mit Kraft zu erfüllen. Und ein Mensch musste sterben, um dies wieder rückgängig zu machen. Ein Uriah zählte als Individuum gleich viel – so verzaubert und verändert er auch war, so war er doch einst ein Mensch gewesen. Er hätte es Aralorn erzählen können, aber dann hätte sie nur geglaubt, es wäre
Weitere Kostenlose Bücher