ARALORN - Der Verrat (German Edition)
›Tod, noch mehr Tod, und Träume, so mächtig wie Blut. Vom Meer aus sah dieser Nebel aus wie eine hungrige Bestie.‹ Der alte Mann erschauerte und schluckte schwer. ›Hast du schon mal von Macht geträumt, Tam? Ich schon. Träume von der Macht, die der Tod gebiert, und von der Wollust, die das Blut in meinen Adern erhitzt. Sie verhießen mir Jugend, süße Jugend, die mich verlassen hatte vor fast hundert Jahren.‹
›Wenn ich schwarze Magie benutze‹, flüsterte Tam, ›dann erzählen mir meine Träume, ich könnte all das Kämpfen beenden und wieder nach Hause heimkehren. Wollt Ihr sagen, dieses Ding ist in meinen Träumen?‹
›Wir hatten alle solche Träume, bevor Faen unterging‹, sagte der alte Mann. ›Ich träumte, wir hätten das dort mit der Verderbtheit von Todesmagie geschaffen, aber ich konnte es nicht beweisen. Als diese Bestie das Eiland ausgelöscht hat, war sie nur halb so groß wie jetzt. Aber sie ist dieselbe, sie ist dieselbe.‹«
In der großen Halle war es jetzt so still, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können, und Aralorn konnte ihre Stimme zu einem Flüstern herabsenken, das in dem Gemäuer ein gespenstisches Echo hervorrief – ein akustischer Streich der Architektur, auf den sie vor langer Zeit schon gestoßen war.
»Tam hätte das gewiss nicht geschafft, doch Nastriuts Ansehen war so groß, dass Fargus’ Magier das Schlachtfeld verließen und kamen, um zu helfen. Mehr als hundert Magier vereinigten ihre Magie und schufen eine Wüste aus Obsidianglas, um den Träumer, den ihre Blutmagie ins Dasein gerufen hatte, einzuschließen. Nastriut kam dabei um Leben – und nicht nur er allein. Als alles vorbei war, gelobten die übrig gebliebenen Magier feierlich, fortan nie mehr aus Tod und Schmerz geborene Magie zu benutzen. Und um sicherzugehen, dass dieses Versprechen gehalten wurde, unterwarfen sie sich selbst einem Zauber, der es ermöglichte, dass ihre Magie von einem einzigen Mann kontrolliert wurde – von Tam von Halenthal, dem ersten ae’Magi.«
»Eine nette Geschichte, um die Dummheit der Magier zu bemänteln«, sagte Gerem unvermittelt. »Es war der Missbrauch von Magie, der die Glaswüste schuf, nicht irgendeine heldenhafte Leistung zur Rettung der Welt.«
Aralorn sah ihn lächelnd an. »Ich geb die Geschichten nur so wieder, wie sie mir erzählt worden sind. Nenn sie von mir aus wahr oder unwahr, am Ergebnis ändert das nichts.«
»Die Zerstörung von einem Dutzend Königreichen«, sagte er.
»Du hast im Unterricht gut aufgepasst.« Aralorn nickte anerkennend. »Doch es gibt auch noch andere Ergebnisse. Die Magier waren nun gefährdet, die meisten von ihnen waren dazu ausgebildet, Magie in einer Weise zu benutzen, die ihnen verboten war. Jetzt hatten die Leute Angst vor ihnen und meuchelten sie nieder, wann immer ihnen einer über den Weg lief. Für Generationen wurden magiebegabte Kinder, sobald ihre Veranlagung offensichtlich wurde, getötet. Nur in Reth oder Südwald konnten Magier Zuflucht finden.«
Aralorn ließ ihren Blick über ihr Publikum, über Kinder wie über Erwachsene gleiten. »Wenn ihr wissen wollt, ob diese Geschichte wahr ist, fragt den Erzmagier nach den ersten Worten des Magiereids – dem Eid, den jeder Lehrling vor seinem Meister ablegen muss, seit der ae’Magi nach dem Ende der Magierkriege als Oberhaupt aller Zauberer eingesetzt wurde.«
»Ab earum satimon« , sagte Kisrah. Mit nachdenklichem Stirnrunzeln sah er Aralorn an, dann übersetzte er leise: »Zu schützen unsere Träume. Wo habt Ihr diese Geschichte gehört? Mir war sie völlig unbekannt. Ich war immer der Meinung, dass die Entstehung der Glaswüste ein Unfall war, der auf den Aufeinanderprall von außer Rand und Band und außer Kontrolle geratener Magie zurückzuführen ist.«
»Ich hab sie ihr erzählt«, sagte in dem Moment Nevyn und trat aus einem Türdurchgang herein. »Es ist eine alte Legende, die ich mal irgendwo aufgeschnappt hab – obwohl Aralorn sie mit ihrer Erzählung noch besser gemacht hat.«
Mit einem ernsten Nicken bedankte sich Aralorn für das Kompliment. Sie erhob sich von ihrem Platz. »Ich hörte seitdem so einige Versionen davon. Lord Kisrah, Ihr wolltet Euch meinen Vater ansehen?«
»Hast du vorher nicht noch eine andere Geschichte für uns?«, fragte Falhart. »Irgendwas weniger … Düsteres, wenn’s geht? Ich weiß ja nicht, wie’s den anderen geht, aber ich möchte die Nacht nicht unbedingt damit zubringen, meinen Kindern zu
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