ARALORN - Der Verrat (German Edition)
ohne überhaupt miteinander geredet zu haben. Sie versuchte, das Geheul zu ignorieren, doch dann klemmte sie sich die Zügel unter die Knie, zerrte den Schal von ihrem Hals und schlang ihn fest um ihren Kopf und, noch wichtiger, um die Ohren.
»Alles in Ordnung mit Euch?«, erkundigte sich Kisrah.
»Es scheint, der Wind bereitet mir in letzter Zeit einige Probleme«, antwortete sie wahrheitsgemäß. Sie versuchte, wenn möglich, ihre Lügen auf ein Mindestmaß zu begrenzen, vor allem, wenn sie mit Zauberern sprach.
»Ohrenschmerzen?«, fragte er fast mitfühlend nach.
»Ich suche uns einen windgeschützteren Ort«, sagte sie. »Ich hatte nicht vor, für unser kleines Privatgespräch den ganzen langen Weg bis zum Tempel zurückzulegen.«
Er lächelte. »Ein wenig Bewegung kann mir nicht schaden. Doch wenn Ihr einen geschützten Ort wisst, könnte ich vielleicht etwas wegen des Windes unternehmen.«
Sie sah ihn stirnrunzelnd an. »Ihr menschlichen Magier«, sagte sie. »Schnell dabei, wenn es gilt, der Welt selbst dort den eigenen Willen aufzuzwingen, wo es ganz und gar nicht richtig erscheint. Nicht weit von hier gibt es ein kleines Tal, dort werden wir ganz ohne Magie dem Wind entkommen können.«
Er starrte sie einen Moment lang verblüfft an. »So hat mich noch nie jemand beschrieben. Haltet Ihr Euch demnach denn für überhaupt nicht menschlich?«
Sie lächelte schwach. Ihre Anspannung war mehr dem Wind als seinem Hochmut geschuldet. »Ja, aber ich würde nie die Namen benutzen, die meine Gestaltwandler-Kusinen für jene bereithalten, die ungeformte Magie benutzen. Die sind nämlich nicht gerade schmeichelhaft. Die Bezeichnung Mensch muss also reichen.«
Wie vorhergesagt boten die steilen Wände des Tals – oder vielmehr der Schlucht – einigen Schutz vor dem Wind. Aralorn brachte Schimmer zum Stehen und entfernte vorsichtig den Schal um ihren Kopf. Das Röhren und Kreischen war zu einem dumpfen Flüstern geworden, das sich gut ignorieren ließ.
»Warum fangt Ihr nicht an, nachdem Ihr mir für Eure gestrige Unhöflichkeit noch etwas schuldet?«, meinte Kisrah, nachdem er sein Pferd so gewendet hatte, dass sich die beiden Reiter nun von Angesicht zu Angesicht gegenüberstanden.
»In Ordnung«, erwiderte Aralorn bereitwillig. »Was wisst ihr über Charisma-Zauber?«
»Was?«, fragte er einigermaßen überrascht, doch dann: »Ich hab noch von keinem gehört, der nicht schwarzmagischen Ursprungs gewesen wäre.«
»In der Tat, das sind sie«, bemerkte Wolf hinter ihnen. »Und zwar der schwarzmagischsten Art überhaupt.«
Aralorns Kopf ruckte herum, und sie sah Wolf stirnrunzelnd an. Er hätte eigentlich erst dann erscheinen sollen, wenn sie sichergestellt hatte, dass Kisrah ihn nicht sofort angreifen würde. Sie vermutete, es sagte einiges über Kisrahs Gemütsverfassung aus, dass er genau das nicht tat.
Wolf besaß seine menschliche Gestalt und war, wie immer, ganz in Schwarz gekleidet – eine Marotte, die Aralorn vorhatte ihm abzugewöhnen. Nicht, dass er in Schwarz nicht gut ausgesehen hätte, es wirkte nur bisweilen etwas morbide. Er trug keine Maske, und sein durch die destruktive Magie vernarbtes Gesicht wirkte in der grellen Wintersonne grausamer denn je.
»Cain«, sagte Kisrah leise, als traute er seinen Augen nicht.
Wolf verbeugte sich leicht, ohne die Augen von dem Erzmagier zu nehmen. »Lord Kisrah.«
»Und Ihr seid hier erschienen, um mich über die Bedeutsamkeit dieser … Charisma-Zauber aufzuklären, nehme ich an.«
Wolf schüttelte den Kopf. »Ich selbst hätte sie gar nicht erwähnt, aber da Aralorn es offenbar für nötig erachtet hat, will ich dies gern tun. Besser noch, ich wirke einen gleich auf der Stelle.« Er vollführte eine sparsame Handbewegung.
Angesichts seiner Unverfrorenheit zog Aralorn scharf die Luft ein. Sie hatte angenommen, der Kampf mit seinem Vater hätte ihn für alle Zeiten davon kuriert, sich mit einem mächtigen Magier anzulegen. Hätte er Kisrah nicht einfach erklären können, wie der Zauber wirkte?
Blass und angespannt stand Kisrah da, doch schon hatte er eine Hand erhoben und konterte den Anschlag mit einem Gegenzauber, wie Aralorn annahm, oder vielmehr einem Zauberbrecher, weil es nicht möglich war, einen unbekannten Zauber mit einem anderen Zauber zu parieren.
»Hier«, sagte Wolf mit weicher Stimme. »Ich gebe Euch noch ein bisschen mehr Magie zur Lektion.«
Aralorn konnte nicht sehen, was passierte, doch einen Moment später fluchte Kisrah,
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