ARALORN - Der Verrat (German Edition)
»Ich konnte nicht schlafen. Es war dunkel, und ich hörte, wie sich etwas in den Zellen bewegte. Also zauberte ich ein Magierlicht und schaute hinein.«
Er schluckte hart angesichts der Erinnerung. »Das Nächste, an das ich mich erinnere, seid Ihr gewesen, wie Ihr vor mir standet. Und an mein schmerzendes Gesicht, weil ihr mich geschlagen hattet. ›Geschrei scheucht es nur auf‹, sagtet Ihr. ›Aber es kann nicht raus.‹«
Kisrah verzog die Lippen zu etwas, das ein angedeutetes Lächeln sein mochte. »Und dann sagtet Ihr ›Und außerdem schmecken ihm Zauberer ohnehin nicht. Besonders nicht jene, die kaum mehr Verstand als eine Legehenne haben.‹«
»Zwei Tage zuvor«, sagte Wolf, »war dieses Ding die Hure meines Vaters. Ich glaube, sie war gerade fünfzehn. Ein Bauernmädchen, natürlich, und bis auf ihre Schönheit von geringer Bedeutung für ihn. Vater mochte schöne Dinge. Und er mochte es, zu experimentieren. Er hat mir einige von ihnen gezeigt. Ich glaube, Ihr nanntet sie mal ›die unglücklichen Liebhabereien‹ meines Vaters.«
Zahllose Empfindungen huschten über Kisrahs Gesicht. Wut, Ungläubigkeit … und dann allmählich einsetzendes Grauen.
»In der Nacht, als ich Euch auf der Burg des ae’Magi antraf«, begann Aralorn ruhig, »nachdem Ihr bewusstlos wart, sind dem Mädchen, mit dem Ihr geschlafen habt, Fänge und Klauen gewachsen. Ich hätte auch einfach gehen können, anstatt sie zu töten. Sie schien mir ohnehin mehr daran interessiert, Euch aufzufressen denn mich.«
Kisrah schwieg.
Aralorn streckte ihre Hände aus, um ihm zu zeigen, dass sie unbewaffnet war – das allseits geltende Zeichen des Friedensangebots. »Wenn Ihr jetzt ein wenig allein weiterreiten wollt … die Pferde kennen den Weg zurück zur Feste. Wir können uns zurückziehen.«
Kisrah zögerte, dann nickte er. »Dafür wäre ich Euch sehr verbunden. Es ist wohl am Besten so.«
»Und?«, fragte Aralorn.
Wolf, der noch vor Kisrahs Augen in seine tierische Reisegestalt gewechselt war, schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht. Kommt drauf an, was er mehr liebt. Meinen Vater oder die Wahrheit.«
Er jagte ein Stück voran und unterbrach damit ihr Gespräch. Wie Kisrah, dachte Aralorn, brauchte auch er einen Moment für sich allein.
Als sie wieder auf offeneres Gelände ritten, wurde der Wind erwartungsgemäß stärker. Nicht so stark, dass sie sich Schutz gewünscht hätte, aber nahe dran. Er sprach zu ihr in einem hundertfachen Flüstern, das als Botschaftsfetzen aus ihrer Vorstellungswelt an ihre Ohren drang.
»Wolf …«, sagte sie, als das Geräusch zu übermächtig wurde.
»Hm?«
»Zauberer haben doch ihre Spezialgebiete, oder? So wie der Fernsichtige, der für Ren arbeitet.«
»Hm.«
Um ein Gespräch in Gang zu halten, brauchte man mindestens zwei Leute. Dies funktionierte aber nur dann, wenn sich nicht einer von ihnen auf »Hm« beschränkte. Sie erwog, es gut sein zu lassen. Wolfs Vergangenheit war ein sensibles Thema. Dazu noch sie und Kisrah mit im Spiel – das hatte ihm wohl für heute den Rest gegeben. Der Wind trug das Schluchzen eines kleinen Kindes heran, zusammen mit dem Klang der Hoffnungslosigkeit, der ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ. Das Echo ihrer Träume von Wolfs Kindheit. Sie versuchte es noch einmal. Sie erinnerte sich an eine Geschichte, wo der Blick eines Jaulers einen Mann in den Wahnsinn getrieben hatte. Zu dumm, dass sie sich nicht vor einem Blick in seine Augen daran erinnert hatte.
»Was ist Kisrahs Spezialität?«
»Wenn ein Magier die Meisterstufe erlangt hat, hat er im Allgemeinen mehr als ein Spezialgebiet.«
»Aber du kanntest ihn doch schon vorher«, bohrte sie weiter. »Was war damals seine Lieblingsdisziplin?«
»Dinge bewegen.«
»So wie Teleportation?«, fragte Aralorn.
»So ähnlich.« Wolf seufzte schwer und wurde wieder langsamer. »Nur dass er sich mehr mit Objekten und heiklen Dingen befasst. So wie Schlossknacken und dem Lösen von Sattelgurten.«
»Kein Wunder, dass Vater ihn mochte«, meinte sie, erleichtert darüber, dass er wieder mit ihr sprach. »Sattelgurte und Hufeisen haben genauso viele Kriege verloren, wie Mut und Können sie gewonnen haben. Was war Nevyns Spezialgebiet?«
»Nevyn?«, fragte Wolf. »Daran kann ich mich wirklich nicht erinnern. Als er zu Kisrah kam, war er noch recht ungeübt – und die beiden haben nicht gerade viel Zeit mit meinem Vater verbracht. Er kann von Glück sagen, dass er Kisrah zum Lehrer hatte. Wäre er zu
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