ARALORN - Der Verrat (German Edition)
meinem Vater gekommen, wäre aus ihm für den Rest seines Lebens ein stammelnder Idiot geworden. Damals war es jedenfalls noch sehr ungewiss, wie es mit ihm weitergehen sollte.« Seine Stimme spiegelte das Unwohlsein wider, das er zu jener Zeit schon empfunden haben musste, und Aralorn merkte, wie sehr ihm die Erinnerung an das, war er einst gewesen war, zu schaffen machte.
»Ich wusste gar nicht, dass es für ihn so schlecht gelaufen war.« Aralorn zerrte den Schal aus der Satteltasche und wickelte ihn sich wieder um den Kopf. Dieses Gespräch hatte ihnen beiden weniger gebracht als erhofft. Weder hatte es sie von den Stimmen abgelenkt noch Wolfs Stimmung aufgehellt. »Ich schätze, er kann von Glück sagen, mit nicht mehr als ein paar Vorbehalten gegen Gestaltwandler aus der Sache wieder rausgekommen zu sein.«
Der Wind bewegte nun sogar die dickeren Äste, fegte Schnee von den Bäumen, den er spiralartig über den Boden jagte.
»Komm schon«, sagte Wolf. »Schau mal, ob du die alte Flohschleuder nicht einholen kannst. Wär doch ’ne heillose Verschwendung, sich auch noch den Rest des Tages im Schnee rumzutummeln.«
10
Aralorn warf Wolf verstohlen ein paar Stücke Hammelfleisch zu, als Falhart hinter ihr auftauchte.
»Wenn Irrenna dich dabei erwischt, wie du den Wolf am Esstisch fütterst, wird sie ihn vor die Tür setzen«, sagte er.
Sie schüttelte den Kopf und hielt Wolf ein weiteres Stück hin. »Solange wir diskret sind, wird sie ihn schon in Ruhe lassen. Sie wird wohl kaum wollen, dass sich ein hungriger Wolf in der Feste rumtreibt. Er würde irgendwann vom Duft angelockt in der Küche aufkreuzen, und das wär’s dann gewesen mit dem Küchenjungen. Der Koch müsste tagelang nach einem Ersatz für den aufgefressenen Burschen suchen, und wir hätten nichts als Ärger. Ich frage dich: Muss das sein?«
Falhart warf Wolf einen skeptischen Blick zu, dann lachte er. »Die Geißel möge dich heimsuchen, Aralorn – fast hätte ich’s geglaubt. Was mich zum eigentlich Thema bringt: Es gibt da ein halbes Dutzend Kleine und ein paar nicht mehr ganz so Kleine, die mir das ganze Abendessen über in den Ohren gelegen haben, damit ich dich zu einer weiteren Geschichte überrede.«
»Ah, mein Publikum.« Aralorn schob die Reste ihres Essens auf ein Stück Brot und steckte sich das Ganze in den Mund. »Siehst du, Wolf – einige Leute wissen mich durchaus zu schätzen.«
Er schien ihr nicht zuzuhören, war vielmehr in Gedanken versunken, wie eigentlich die ganze Zeit über, seit sie zurückgekehrt waren. Wenn sie zurücknehmen könnte, was sie zu Kisrah gesagt hatte, sie hätte es getan. Auch wenn Kisrah das nicht wissen musste. Hätte sie sich doch bloß die Zunge abgebissen und Kisrah in dem Glauben an den guten Geoffrey ae’Magi gelassen, anstatt Wolf dermaßen zu verletzen.
Trotz seiner scheinbaren Gleichgültigkeit folgte Wolf ihr, als sie sich erhob, um sich zu ihren Zuhörern zu gesellen, und machte es sich zu ihren Füßen gemütlich.
Kisrah war nicht unter ihnen, obwohl Aralorn wusste, dass er von ihrem Ausritt zurückgekehrt war. Auch Gerem war nirgends zu sehen, aber Freya und Nevyn saßen auf der Bank an der Wand, gerade nah genug, um zuzuhören.
Sie wählte ihre Geschichte hauptsächlich für Wolf aus – etwas Leichtes und Vergnügliches, das dem Rest ihres Publikums ebenfalls gefallen würde. Als schließlich fröhliches Lachen erklang, das den Saal trefflicher wärmte als jedes Winterfeuer, da legte Wolf seinen Kopf in ihren Schoß und seufzte.
Als Aralorn am nächsten Morgen erwachte, saß ein Rotschwanzbussard auf der Stuhllehne und ordnete sein Gefieder. Wolf war fort.
»Für einen Mann, der sich nicht gern unter Menschen wagt, verbringst du ziemlich viel Zeit unter ihnen, das muss man dir lassen«, bemerkte sie ernst.
Der Bussard plusterte sich ein wenig auf und sagte: »Er meinte, du seist morgens oft schlecht gelaunt. Ich muss sagen, ich kann die Wahl deiner Gefährten nicht wirklich billigen, Nichte.«
»Weil du ja immer die beste Wahl getroffen hast, nicht?«
Der Bussard nickte mit dem Kopf und zwitscherte vor Vergnügen; ja, er lachte so stark, dass der Stuhl unter ihm gefährlich zu schwanken begann. »Wie wahr, wie wahr«, gluckste Halven schließlich, als er sich wieder beruhigt hatte.
»Hat Wolf dir erzählt, dass wir geheiratet haben?«, fragte Aralorn.
»Ja, Kind«, sagte der Bussard. »Und er hat mir auch gesagt, ich soll dir ausrichten, du mögest dich ohne ihn
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