ARALORN - Die Wandlerin: Roman (German Edition)
mehr als nur ein bisschen aufgewühlt, und sie hätte absolut nichts dagegen gehabt, dem verdammten Kerl ihr Schwert bis in den Nacken zu rammen und das Problem ein für alle Mal zu erledigen. Aber ihr Vater war, wenn es ihm gefiel, ein umsichtiger Politiker gewesen, und sie hörte noch immer seine Stimme im Ohr.
Anstatt ihm den Garaus zu machen, sagte sie daher kalt: »Wünscht Ihr den Tod dieses Mannes, mein König? Ich versichere Euch, es wäre mir ein Vergnügen. Wir könnten seinen Kadaver gleich draußen an einem Pfahl den Krähen zum Fraß vorwerfen.«
»Und jeden Aasfresser im Umkreis von fünfzig Meilen anlocken«, sagte Myr bedauernd. »Nein. Nicht jetzt.« Sie wusste seinen Tonfall nicht zu deuten, wollte ihren Blick aber nicht von ihrem Gegner abwenden, um Myr anzusehen.
Bei dem Triumph in den Augen des Adeligen zu ihren Füßen verzog sie angewidert das Gesicht. Er setzte an, um etwas zu sagen, überlegte es sich jedoch anders. Vielleicht lag es an dem schmerzhaften Gewicht ihres Absatzes auf seiner Schulter, vielleicht aber auch daran, dass ihr Arm ein wenig sank und das Schwert sich ein bisschen tiefer in seine Hautfalten grub.
»Habe ich die Erlaubnis, mit ihm zu verfahren, wie es mein Vater tun würde?«, fragte sie.
»Ich entsinne mich an den Vorfall mit dem Schandpfahl«, erwiderte Myr trocken. »Mein Großvater hat mir davon erzählt. Danach hat einige Jahre lang niemand mehr die Befehle des Löwen missachtet. Wirkungsvoll, aber drastisch, das muss man zugeben. Leider sind wir hier etwas knapp an Leuten – daher widerstrebt es mir ein wenig, Euch meine uneingeschränkte Erlaubnis zu geben.«
Der Adelige wurde blass. »Der Löwe?«, stieß er hervor.
Aralorn beugte sich zu ihm herab und fletschte die Zähne, wandte sich mit ihren Worten aber weiter an Myr. »Eure Majestät, wenn Ihr gestattet. Haris?«
»Aye?«
»Haris, ich finde, Ihr habt in letzter Zeit zu viel gearbeitet. Ihr benötigt einen Gehilfen.«
»Ich brauch keinen Edelmann in der Küche«, entgegnete Haris bärbeißig.
»Haris«, mischte sich Myr mit seidiger Stimme ein, »ich habe nicht die Absicht, diesen Mann sich in Eure Obliegenheiten einmischen zu lassen. Dennoch … Schälen, den Bratspieß drehen oder die Abfälle wegbringen – was kann er da schon Dummes anstellen?«
»Oh, aye«, erwiderte Haris, nun merklich entspannter. »Geht klar, Majestät.«
»Aralorn, lasst ihn aufstehen«, sagte Myr.
Sie zog ihr Schwert zurück, nicht ohne vorher am Hemd des Idioten das Blut abzuwischen.
»Oras«, sagte Myr. »Betrachtet es als Geschenk, Haris eine Woche lang zur Hand gehen zu dürfen. Sorgt dafür, dass ich meine Entscheidung nicht bereue.«
Der Adelige schluckte. Vielleicht erkannte er, genau wie Aralorn, den alten König im Gesicht des Enkels wieder.
Dann wandte sich Myr wieder Aralorn zu. »Ich möchte, dass Ihr rausgeht und nach Wolf sucht. Falls dies ein Angriff ist, müssen wir uns darauf vorbereiten – oder kann ich meinen Leuten Entwarnung geben?«
Sie steckte ihr Schwert zurück in die Scheide. »Was genau ist eigentlich passiert?«, fragte sie.
»Die Uriah haben vermutlich unseren Jagdtrupp bis zu den Höhlen verfolgt, sind aber von den Abwehrrunen am Eingang aufgehalten worden. Wolf sagt, dass es nicht seine Runen wären, und hat uns alle zurückgepfiffen, damit wir uns hier die Beine in den Bauch stehen und den engen Eingangstunnel bewachen.«
Aralorn blickte zu der Öffnung hinüber, auf die Myr wies. Spärliches Tageslicht sickerte durch den Tunnel herein.
»Von Oras mal abgesehen«, fuhr Myr fort, »wäre es in der Tat ganz nützlich, ein paar Informationen mehr zu haben. Ich hätte ganz gern so was wie einen Zwischenbericht, und Ihr bekommt wahrscheinlich mehr aus unserem Zauberer heraus als irgendwer sonst.«
Im Tunnel nach draußen zog sie ihr Schwert und umfasste es mit eisernem Griff. Jemand hatte Richtungspfeile an die Tunnelwände gemalt, und es war ein Leichtes, im Schein des magischen Lichts, das sie in der hohlen Hand hielt, den Markierungen zu folgen.
Das Geheul wurde lauter, als sie in die Öffnung zu einem Gang abbog, über der »Zum Ausgang« zu lesen stand. Trotz des kalten Angstschweißes auf ihrer Stirn musste sie beim Anblick der windschiefen Buchstaben grinsen. Vorsichtig schlich sie durch den engen, gewundenen Höhlenpfad weiter voran.
Dann sah sie die Uriah, brüllend vor Enttäuschung und Wut angesichts der Feuerwand, die den Eingang versperrte. Irgendwer hatte dort, wo
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