Arbeit und Struktur - Der Blog
Ein Stück Stahl, das in meiner Schulter war und aussieht wie eine in der Behindertenwerkstatt aus einem riesigen Nagel zusammengedrehte Büroklammer, in der Tasche. Schon im Aufwachzimmer, dann in der Tram und schließlich zu Hause liest C. aus dem Spiegel Georg Diez’ zweiten Anlauf zu einer vier Seiten langen Selbstexekution vor. C.: “Ich bin erschöpft von soviel Dummheit.”
Nachdem er vor Jahren bereits einmal völkische Tendenzen bei ausgerechnet Jens Friebe entdeckt hatte, kann ich das alles leider nur mit großer Schadenfreude betrachten.
4.3. 2012 21:00
Sonnenschein, See. Abends zu Fuß zurück unter den überm Berlin-Spandauer Schiffahrtskanal sehr hellen Venus und Jupiter. Ganz oben Capella, in den Sträuchern Sirius.
5.3. 2012 19:31
Auf Youtube einstündige Dokumentation Choosing to Die. Der alzheimerkranke Terry Pratchett begleitet den an Amyotropher Lateralsklerose leidenden Hotelier Peter Smedley zum Sterben in die Schweiz. Fahrt durch Zürich, häßliche Häuser, Baustellen, kahle Bäume. A lovely place.
Smedley trinkt Kaffee in einem schmerzlich genau einem Wohnzimmer nachgebildeten Raum, dessen Mobiliar und an den Wänden verteilte Blumen- und Landschaftsgemälde nicht weit über die Geschmacklosigkeit eines Arztwartezimmers hinauskommen. Rundum sehr entspannte Atmosphäre, der Papierkram kommt auf den Tisch. Yes, I’m sure. Yes. No, that’s fine. It all makes perfect good sense.
Eine Mitarbeiterin mit schulterlangem weißen Haar und rotem Schlabberpulli bringt etwas Magenberuhigendes, bietet eine weitere Tasse Tee an, Smedley lehnt ab. Schnitt. Man sieht die Frau Besteck abtrocknen in der Küche. Ein Dignitas-Mitarbeiter raucht auf dem Balkon. Schnitt.
Smedley mit Frau und Pratchett am Tisch: The next one ist the, is the, uh …
Smedleys Frau: The killer?
Oh, yes.
Smedley sucht eine Praline aus. Er erkundigt sich nach der Uhrzeit. Not that I’m in a hurry. But I’m just, uh, interested to know.
Sie setzen ihn aufs Sofa. Seine Frau setzt sich neben ihn. Frage, ob sie wirklich da sitzen will. No, I need some care, sagt Smedley. That would be the case. Sie küssen sich.
Peter Lawrence Smedley – die Dignitasfrau spricht die Formel im Tonfall eines Priesters bei der Trauung – are you sure that you want to drink this medicament with which you will sleep and die?
Yes, I’m quite sure. That’s what I want to do.
I give you the medicament. You’re sure?
I’m sure. Thank you.
Er nimmt das Glas mit der weißlichen Flüssigkeit, schaut einige Sekunden hinein und trinkt. Gibt das Glas zurück, die Frau stellt es ab. Hinter ihr auf der Fensterbank eine kupferne Blumengießkanne, an einem Kleiderständer ein verlassenes schwarzes Jackett. Jemand hält eine kleine Kamera ins Bild, um zu dokumentieren, was auf dem Sofa geschieht.
Smedley steckt das ausgewählte Stück Schokolade in den Mund, stöhnt, führt eine Hand unter sein Herz. Ghastly taste. Er trinkt etwas Wasser.
Die Kamera schwenkt über den Raum zu Pratchett, der den Kopf in die Hand gestützt hatte und sie jetzt herunternimmt.
Schwer zuzuordnende Stimme: Bye-bye.
Thank you for looking after me. I would like to thank everybody else. Thank you. First class, too.
Pratchett gibt Smedley die Hand. Taschentücher werden über Smedleys Schoß hinweg gereicht, seine Frau streichelt seine Finger. Be strong, my darling, sagt er. Just relax, sagt die Dignitasfrau.
Smedley hustet, sein Kinn wird abgewischt. Großaufnahme Pratchett, Smedley stöhnt im Off. Er verlangt nach Wasser. Das Wasser wird ihm verweigert. Die Dignitas-Mitarbeiterin hat einen Arm um seinen Kopf gelegt, hält ihn fest und streicht ihm übers Haar, während seine Hand sich vergeblich nach dem Glas ausstreckt. Smedleys Frau tupft sich ein Taschentuch unter die Nase und schaut in die andere Richtung. Smedley nuschelt Unverständliches, er knattert, er stöhnt, er grummelt. He’s sleeping now, erklärt die Dignitasfrau, very deep. No pain at all. He’s snoring, he’s sleeping very very deep. He feels in a unconsciousness, and then afterwards, uh, the breathing will stop. And then the heart.
Smedley, oder was er einmal war, sitzt umgesunken neben seiner Frau. Man hört ihn schnorcheln. Die Mitarbeiterin entfernt sich. Niemand verliert die Fassung.
That’s what he wanted. And he was ready to go. Yes. Now you are allowed to cry. Let it come out. It does you good. Everything you kept inside until now, let it out.
Am Küchentisch
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