Arcanum – Das Geheimnis
zerriss grell die schnell herabsinkende Dunkelheit. Die Blitze am Himmel zuckten nun in kurzen Abständen und der Donner folgte wenige Sekunden später. Aus den einzelnen Tropfen war inzwischen sintflutartiger Regen geworden, der sie bis auf die Haut durchnässte. Herbert kratzte mit seinem Spaten ohne Rücksicht Moos und Flechten von der Kante des Felsens. Dann legte er ein großes Blatt Papier darauf und zeichnete rasch die Vertiefungen mit einem wasserfesten Stift nach.
„Abpausen hat mich schon im Zeichenunterricht in der Schule gerettet“, erklärte er mit einem Grinsen. Die Haare hingen ihm nass ins Gesicht und sein Papier saugte begierig die klatschenden Tropfen auf. Der Regen fiel jetzt so dicht, dass sie das Gefühl hatten, Wasser zu atmen. Der Boden konnte die Feuchtigkeit nicht mehr schnell genug aufnehmen, sodass sich alles um sie herum in einen wilden Strom verwandelte, der ins Nagoldtal hinabstürzte.
„Vorsicht“, schrie Christopher.
Herbert kniete vor dem Stein, als dieser im aufgeweichten Erdreich wie in Zeitlupe nach vorne zu kippen begann. Christopher hechtete von der Seite zu Herbert hinüber, der nicht erkannte, in welcher Gefahr er schwebte. Er riss ihn weg von der Stelle, über die Sekunden später der tonnenschwere Brocken glitt, um mit lautem Krachen in den reißenden Bach zu stürzen. Das Wasser stockte einen Moment, schwoll in unglaublicher Geschwindigkeit an und überflutete die Fundstelle. Es erreichte Christopher und Herbert, die sich gerade aufrappelten, und riss sie mit sich ins Tal hinunter. Ein dünner Baumstamm hatte sich so quer gestellt, dass das Wasser unter ihm hindurchströmte. Christopher griff nach ihm und hielt sich mit aller Kraft fest. Da kam auch schon Herbert das Flussbett heruntergeschlittert. Christopher schnappte ihn am Kragen seiner durchweichten Jacke. Er spürte, dass Herbert am Ende seiner Kräfte war. Er hatte eine Platzwunde am Kopf und wirkte desorientiert.
„Herbert, reiß Dich zusammen“, schrie er ihm gegen das Tosen des Wassers und das Trommeln des Regens ins Ohr.
Herbert lächelte benommen. Christopher schaffte es, sich mit Herbert im Schlepptau an dem Baumstamm entlang zu hangeln, um schließlich das gegenüberliegende Ufer zu erreichen. Erschöpft drehte er sich auf den Rücken und lag keuchend im Schlamm, bis er vor Kälte zu zittern begann. Es war Dezember, die Temperatur lag nur wenige Grad über dem Gefrierpunkt, und sie waren beide durchnässt bis auf die Haut. Christopher spürte seine Finger nicht mehr, und Herbert war verletzt und unterkühlt, sodass er kaum mehr ansprechbar war. Er wäre so gerne liegen geblieben, um nur kurz die Augen zu schließen, aber sein Instinkt sagte ihm, dass er dann überhaupt nicht mehr auf die Beine käme. Mit großer Willensanstrengung rappelte er sich auf, zog sich Herbert an den Armen auf seinen Rücken und schleifte ihn blind am steilen, linksseitigen Ufer des Baches ins Tal. Der Waldweg war auf der anderen Seite, es gab aber keine Möglichkeit den reißenden Strom zu überqueren. Die Stirnlampen hatten sie bei ihrem unfreiwilligen Bad verloren. Christopher glitt aus, krachte auf den Bauch und mit dem Kopf auf etwas Hartes. Er hatte Herbert losgelassen, sah tanzende, rote Sterne vor seinen Augen, dann wurde alles schwarz. Er dachte noch verzweifelt, dass er wach bleiben müsse, dann blieb er reglos liegen und verlor das Bewusstsein.
Als er erwachte, hatte sich das Unwetter in einen starken, gleichmäßigen Regen verwandelt, der auf die Windschutzscheibe seines Audis trommelte. Er saß am Steuer, der Motor lief und die Standheizung hatte das Wageninnere auf mollige dreiundzwanzig Grad aufgeheizt.
Er schreckte hoch. Alle Knochen taten ihm weh und seine Kleider waren reif für die Mülltonne. Wo war Herbert? Der Beifahrersitz war leer und Christopher hatte keine Erinnerung, wie er zurückgefunden hatte. Er hörte ein Grunzen vom Rücksitz. Herbert lag ausgestreckt da und sah noch erbärmlicher aus als er. Er atmete auf. Wie spät war es? Draußen war es inzwischen Nacht geworden. Die Uhr auf dem Armaturenbrett stand auf Sieben. Sie waren gegen zwei Uhr von diesem apokalyptischen Unwetter überrascht worden. Was hatten sie in den fehlenden fünf Stunden gemacht? Christopher drehte sich zu Herbert um. Dieser kam gerade zu sich und hielt sich stöhnend den Kopf. Seine Platzwunde schien ordentlich gereinigt und mit einem großen Pflaster abgeklebt worden zu sein. Das konnte unmöglich er getan haben,
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